Ameisen und das große Rennen

 



Es sieht hektisch aus, wie sie alle in eine Richtung laufen, als würde weiter vorne irgendetwas auf sie warten. Es wartet nichts auf sie. Und doch ist das Rennen von Erfolg gekrönt. Der Weg ist das Ziel. 

Bei ihrem Rennen auf dem Weg zum Irgendwo laufen ihnen Spinnen, Grillen, Kakerlaken und andere Insekten in die Bahn. Für die Wegelagerer endet das meistens fatal. Kommt ihnen eins der Kleintiere in den Weg, stürzen sich in Sekundenbruchteilen dutzende der Ameisen auf das Insekt. Die anderen tausenden Ameisen rennen auf den unsichtbar mit Gerüchen ausgeschilderten Straßen schnurstracks weiter.

Ansammlung von hunderten von Ameisen unterhalb eines Steins
Die Beute hat wenig Chancen, zu entkommen. Die Ameisen reagieren zu schnell für sie. Schaffen sie es doch, rechtzeitig zu bremsen und die Ameisenstraße nicht zu überqueren, sind da noch Sabiá und Co., Vögel, die das große Rennen für sich nutzen. Sie wissen, ein Ameisenrennen ist wie ein Fließband voll mit Nahrung. Alles, was sie tun müssen, ist in der Nähe der Ameisenstraße zu sitzen und auf vorbei kommende Grillen und Insekten zu warten. 



Unter dem brasilianischen Begriff Formigas de Correição werden etwa 200 Ameisenarten zusammengefasst, die regelmäßig ausschwärmen. Eine feste Bleibe haben sie nicht. Wie Nomaden schlagen sie einmal hier, einmal dort ihre Zelte auf. Ihre Beute schleppen sie dabei in der Regel nicht mit. Die bewahren sie wie Eichhörnchen in geheimen Verstecken auf. 

Frei übersetzt heißen die Formigas de Correição Renn-Ameisen. Das kommt ihrer Eigenart wesentlich näher als die deutsche Bezeichnung "Wanderameisen". Von der Müllers Lust des Wanderns haben die Ameisen nicht viel. Ihr Ausschwärmen gleicht eher einem gigantischen Marathon im Zeitraffer. 

Der kann nur in einer Stunde schon wieder vorbei sein oder Tage dauern. Manchmal schlagen sie ihr vorübergehendes Camp unter unserem Häuschen auf. Dann rennen sie unermüdlich Tag und Nacht um das Haus herum. Sie laufen die Wände hinauf, suchen in Löchern und Kanten Spinnen und Wespen. Ja, sie kommen auch ins Haus. In einer halben Stunde oder weniger sind sie wieder draussen, haben Wände und Ecken "gesäubert". 

Dort, wo sie nicht hin sollen, ins Bett, dem Hundezwinger, zu den Bienenstöcken, versprühe ich einen Duft. Er bildet eine unsichtbare Barriere, ein Stoppschild an den von ihren mit Gerüchen ausgebauten Straßen. 

Unangenehm wird es nur, wenn ich ihre Straßen nicht rechtzeitig sehe und den Ameisen aus Versehen in die Quere komme. Genauso schnell, wie sie eine Beute erlegen, rennen sie Füße und Beine hinauf und beißen, nicht, um mich zu töten, sondern um mich, den Eindringling, der unwissend ihre Autobahn gekreuzt hat, von ihrer Straße zu verweisen. 

Je nach Ameisenart kann das ein bißchen schmerzhaft sein. Wie bei einem Stepptanz stampfe ich dann mit dem rechten, mit dem linken Bein auf dem Boden. Gleichzeitig werfe ich die Stiefel von meinen Füßen, reiße die Hose herunter, befreie mich von den Krabblern. 

Nur gut, dass wir im Regenwald leben und mich keiner bei diesem wilden Unterhosentanz sieht. Mittlerweile passe ich aber besser auf und kommt es nur noch selten vor, dass ich von der Ameisenpolizei des Platzes verwiesen werde.

Ausschnitt einer Bambussäule mit Loch, in das Ameisen laufen
Darüber, ob Wanderameisen ein Gedächtnis haben oder wie die in Wüsten lebenden Nomaden feste Routen, habe ich nichts gefunden. Eine unserer Bambussäulen suchen sie zumindest regelmäßig auf. Unser Vordach ruht auf Bambussäulen. In die haben wir unten ein Loch gebohrt, um den ersten halben Meter des Bambus zur Verankerung mit Beton ausfüllen zu können. Von den Löchern sind nicht nur die Katzen begeistert. Auch eine Art kleiner, aber friedlicher Wespen nutzt diesen Eingang zum Hohlraum des Bambus und baut dort ihr Nest. Ich sollte besser sagen baute. Seit einem Jahr sind sie nicht mehr da. Das hat seinen Grund.

Die Renn-Ameisen haben von dem Nest Spitz bekommen. Das war wie ein gedeckter Tisch für sie. Bei der Stürmung der Wespenburg hatten die Bewohner stets das Nachsehen. Ein paar haben zwar versucht, ihr Volk zu verteidigen. Die meisten haben jedoch angesichts des Ansturms von hunderten von Ameisen das Weite gesucht, während die rennenden Krabbler in Ruhe ihre Beute, die Larven, davon getragen haben. Das hat sich über die Jahre hinweg etliche Male wiederholt. Auch jetzt, wo das Nest leer ist, machen die Renn-Ameisen bei ihrem Ausschwärmen stets noch einen Abstecher dorthin, um nachzusehen, ob es sich die Wespen nicht doch anders überlegt und wieder Einzug gehalten haben.



Kommentare

mondin hat gesagt…
Hallo Gabriela!
Seid Ihr gut in's neue Jahr gekommen?
Das ist wieder soo interessant :)
Solche Rennameisen hatten wir in Cascavel nicht. Wohl schon Ameisenstraßen durch die Küche, aber richtig gerannt sind sie nicht.
LG Ursel
Gabriela B. Lopes hat gesagt…
Hallo Ursel,
ja, es gibt etliche Arten dieser ausschwärmenden Ameisen. Vielleicht sind unsere Renner ja eher auf den Wald beschränkt, wer weiß ;)

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