Vom Entdeckerinstinkt, der in uns steckt

Geöffnetes Horizontalschiebefenster mit Blick in den Garten

Nein, ich bin kein Schreiner. Noch in Deutschland lebend habe ich mich nie im Geringsten damit auseinandergesetzt, wie Fenster gebaut werden oder welche Teile dafür notwendig sind. Der Entdeckerinstinkt war mir indes schon immer eigen. Ich glaube, irgendwie steckt er in jedem von uns. Er ist nur unterschiedlich ausgeprägt. 

Manche halten beim Spaziergang Ausschau nach Kleinoden der Natur und halten Mohnblumen, Kornblumen, Kleeblüten, besondere Steinformen, Eichhörnchen, auf einem Ast sitzende Vögel oder vom Herbst gefärbte Blätter in Form von Fotos fest. Andere radeln Feldwege entlang, um zu sehen, wo sie hinführen.

Ich baue. In Deutschland waren es Bumerang, Matratzen-, Lenk- und Kastendrachen, Sonnenuhr und auch ein Kastenbett mit Schubladen. Der Antrieb war immer der gleiche, die Neugier. Ich wollte herausfinden, wie sich so ein Kastendrachen bauen lässt, wie ich ihn verändern kann, ohne dass er die Fähigkeit verliert, in die Luft zu steigen, wie ein Bumerang gebaut wird und wie er geworfen werden muss, damit er eine Halbschleife zieht. 

Einmal fertig hat es mich immer wieder fasziniert, zu sehen, dass die mit eigenen Händen geschaffenen Teile tatsächlich funktionieren. Da stand ich dann im Herbstwind auf den Wiesen des Ampertales, meine bunten Kreationen hoch oben am Himmel bewundernd. 

Nicht immer hat alles auf Anhieb so geklappt, wie ich mir das vorgestellt habe. Dann ging es zurück ins Zimmerl zum Tüfteln, bis sich der Erfolg endlich einstellte. Die Freude und das Gefühl es geschafft zu haben, waren dann um so größer.

Statt Drachen, Bumerang und Sonnenuhr widme ich mich jetzt kleinen Bauobjekten. Ihr mögt jetzt denken, was für eine Steigerung. Das Prinzip ist jedoch das Gleiche, der Antrieb enbenso. Einmal erwacht führt uns der Entdeckerinstinkt Schritt für Schritt zu neuen Herausforderungen. 

Jetzt waren es Fenster. Ich glaube, bei euch heißen sie Horizontalschiebefenster, bei uns janela guilhotina, Guillotine-Fenster. Der Name ist nicht unbedingt bezaubernd, die Funktionalität hingegen schon. Nichts muss weggeräumt werden, um das Fenster zu öffnen, und keine Fensterflügel stehen ins Zimmer, was angesichts unseres kleinen Häuschens und der vielen Fenster ein großer Vorteil ist.

Die Frage, ob ich das kann, ein Fenster zu bauen, oder nicht, habe ich mir erst gar nicht gestellt. Das würde ich schließlich beim Versuch herausfinden. Irgendwie lässt sich fast alles austüfteln, so lange es sich nicht um ein Hightech Raumschiff handelt. Klappt es nicht, dann klappt es eben nicht. 

Vor dem Sägen kommt das Tüfteln. 

Genauestens habe ich mir immer wieder Fenster in Baumärkten und Häusern von Freunden und Bekannten angesehen. Manchmal rief das Blicke hervor, die sagten: "was hat die nur mit unseren Fenstern?". 

Dann war da noch Schorschi. In Sachen Fensterbau wurde er zu meinem Vorbild. Schorschi hat die Fenster für sein Atelier auch selbst gebaut. 

Nein, nicht jeder in Brasilien baut seine Fenster selbst. Die meisten kaufen sie, so wie das auch in Europa geschieht, mit dem Unterschied, dass hier auch heute noch außerhalb der großen Metropolen vor allem Holzfenster verwendet werden. 

Von Schorschis Fenstern habe ich gelernt, dass es wenig Sinn macht, die Scheiben nur mit kleinen Nägeln am Platz zu halten. Das führt zum Klappern im Wind. Der Fensterkitt ist auch nicht unbedingt eine Schönheit. Die Lösung war das Einkleben der Scheiben mit Silikon. Das Ergebnis ist zufriedenstellend. Nichts klappert und nichts ist zu sehen. 

Das erste Fenster war ein Prototyp. Er hat mir gezeigt, wo ich die Verbindungen verbessern muss, ob meine nur vier Zentimeter großen Leisten ausreichende Stabilität liefern, wie sich das Holz in Fensterform verzieht und ob meine berechneten Maße tatsächlich stimmen. Vor allem war mir mit ihm aber klar geworden, dass der Bau von einfachen Fenstern keine Zauberei ist. 

Zur Belohnung gibt es Endomorphin

Ich bin mir sicher, dass der Anblick meines von mir erschaffenen Werkes bei mir einen kleinen Endomorphinstoß ausgelöst hat. Wie Meister Eder stand ich vor dem Prototyp und bestaunte das Ergebnis. Freude breitete sich aus und Zufriedenheit. Ein paar Verbesserungsarbeiten waren noch notwendig, aber im Prinzip war die Aufgabe, die ich mir gestellt hatte, gelöst. Die Belohnung war ein Glücksgefühl. So oder so ähnlich müssen sich Marathonläufer fühlen, wenn sie die Ziellinie überqueren. 

Alles nur ein Puzzlespiel

Dann kam die Serienarbeit. Nein, eine Schreinerwerkstatt war dazu nicht notwendig. Teilweise habe ich mit der Handsäge gearbeitet, teilweise mit der Handkreissäge. Meine Werkbank: zwei vor dem Haus aufgestellte Hochstühle.

Die Tüftelei war noch nicht ganz erledigt. Der nächste Part kam beim Einsatz der unteren Teile der Horizontalschiebefenster. Im Bad hatte ich schon vor einiger Zeit ein kleines eingesetzt, allerdings ohne Führungsschienen und nur mit Holzleisten, die das Fenster am Platz halten. Schorschi riet damals noch, die Seiten mit Wachs einzulassen, damit es besser flutscht.

Ohne Führungsschienen ruckelte es aber. Da half auch das Wachs nichts. Will ich es nach oben schieben, muss ich es jedes Mal nach rechts und links ruckeln, bis es die notwendige Höhe erreicht hat. Für die größeren Fenster unserer Wohnküche musste eine andere Lösung her, eine ruckelfreie. 

Fragt nicht, wie viele Videos ich mir im Internet angeschaut habe, um herauszufinden, was für ein sanftes, ruckelfreies Öffnen der Schiebefenster notwendig ist. Gefunden habe ich dazu nicht viel. Die meisten Schiebefenster sind mittlerweile vertikal, damit beziehen sich auch die meisten Videos auf vertikale Schiebefenster. 

Die Suche nach einer Lösung gleicht ein wenig einem Puzzle. Jedes kleine Teilchen führt letztlich zum großen Bild. Wer gibt schon auf, nur weil das erste in die Hand genommene Puzzleteilchen nicht an die gedachte Stelle passt?  Irgendwann entdeckte ich dann das fehlende Puzzleteil, kam die Idee mit den Aluschienen und Röllchen. Über Internet werden die vor allem für vertikale Fenster angeboten. Meine Frage, ob sie sich auch für horizontale Schiebefenster verwenden lassen, wurde mir immer wieder verneint. Ein weiteres Puzzlestück musste her. 

Das fand ich in Form von anderen Röllchen, die genau auf die Aluschienen passen und in den Rahmen eingelassen werden. Das Puzzle war gelöst. Jetzt musste ich das entstandene Bild nur noch umsetzen. Ein bißchen hat das noch gefuchst. Durch den beim Einsatz des Fensterrahmens in die in der Wand dafür vorgesehenen Löcher verwendeten Bauschaumes hatte sich der Rahmen verzogen. Sichtbar ist das nicht. Aber die Rahmen sind damit nicht mehr im rechten Winkel, die von mir gebauten unteren Fensterteile hingegen schon. Teilweise musste ich deshalb die Führungsschienen in den Fensterrahmen einlassen.

Ich gebe es zu, dieses Mal war das Blindpuzzle ein wenig schwierig und der Entdeckergeist besonders gefordert. Letztlich sind die Fenster aber doch so geworden, wie ich sie mir in Gedanken ausgemalt habe, vielleicht sogar noch schöner. Jetzt kommt der Stolz in mir durch. Er geht mit der Befriedigung des Entdeckergeistes einher und lässt sich bei jedem Hoch- und Runterschieben der Fenster ein wenig spüren, genauso wie die Freude darüber, dass mein Werk funktioniert. 

Solltet ihr einmal mit der Idee spielen, ein Fenster zu bauen, tut es. Es ist keine Hexerei. Ihr werdet von eurem Ergebnis begeistert sein, auch deshalb, weil es einzigartig ist, eben keins von der Stange. Stellt euch einfach vor, ihr geht auf Entdeckungstour oder macht euch an ein Puzzle.

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