Grenzen setzen

 

Grenzstein des Georefernciamento
Einer unserer Grenzsteine - ein sehr wichtiges Stück

Heute war Grenztag. Nachbar J. hat einem seiner Freunde sein Grundstück für eine Umweltbuße zur Verfügung gestellt. Was der genau ausgefressen hat, weiss ich nicht. J. hat nur erzählt, dass er dazu verurteilt worden ist, heimische Bäume zu pflanzen. Das muss er nicht etwa auf seinem eigenen Grundstück tun, auf dem er den Umweltfrevel begangen hat. Er kann die Bäume auch irgendwo anders im gleichen Biom pflanzen. Das hat er getan, auf dem Grundstück unseres Nachbarns. 

Allerdings hat er es nicht so genau mit den Grenzen genommen. Er hat uns auch nicht informiert oder gefragt, wo denn die Grenze verläuft. Er hat einfach entlang einer imaginären Linie bei im Atlantischen Regenwald heimische Bäume gepflanzt. Meine Oma würde sagen, die Linie ist so ausgefallen, "wie der Bär soacht". Ich weiss auch nicht, welchen Sinn das macht, zum Ausgleich eines Umweltvergehens in einem schon bestehenden Wald Bäume zu pflanzen. Eigentlich sollen damit ja degradierte Flächen renaturiert werden. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

Wir haben die Pflanzung zufällig entdeckt. Was dahinter steckt, hat mir J. verraten, als ich sein Auto auf unserem Waldweg aufgehalten habe, weil ich wissen wollte, was da so vor sich geht. J. ist selten auf seiner chácara. Er wohnt im Großraum von Curitiba und ist eigentlich auch sehr sympatisch. Er ist aber auch ein Querling, der es mit "Meins" und "Deins" nicht so genau nimmt.

Einmal kam er mitten in der Nacht bei Regen mit einem Abschlepplaster den Waldweg entlang gefahren. Wir hatten uns schon im Häuslein eingeigelt und waren dabei, unser Nachtlager vorzubereiten, als es oben auf dem Weg schepperte. Damals waren wir die einzigen hier im Wald. Also bin ich mit Taschenlampe, Buschmesser und Hunden bewaffnet rausgelaufen, um nachzusehen, was da vor sich geht. Als ich bei J.'s Grundstück ankam, war alles hell mit Scheinwerfer beleuchtet. Der Abschlepplaster versuchte, auf dem schmalen Waldweg zu rangieren und J. gab im strömenden Regen Anweisungen. Er müsse zwei Autos hier zwischenlagern, bis das Erbverfahren abgeschlossen sei, erklärte er ruhig. Dabei rang er wie immer seine beiden Hände. Nichts Dauerhaftes, nur für ein paar Tage. Beruhigt, dass es keine Einbrecher oder Palmenräuber waren, bin ich wieder heim gelaufen. Am nächsten Tag haben wir dann gesehen, dass er eins der Schrottautos auf unserem Grundstück zwischengelagert hatte. Zwei Jahre hat es danach gedauert, bis ich ihn endlich dazu gebracht habe, unseren Wald von seinem inzwischen mit Schlingpflanzen zugewachsenem Auto zu befreien.

Ein anderes Mal kam er auf die Idee, auf einer Waldlichtung Kartoffeln anzubauen. Da ist nichts dagegen zu sagen, wäre die Waldlichtung nicht auf unserem Grundstück.

Irgendwann hat er auch mal versucht, einen Stacheldrahtzaun zwischen unseren Anwesen aufzustellen. Leider verwenden hier fast alle Stacheldraht zum Einzäunen ihrer Grundstücke. Die bringen eigentlich nicht viel. Gut, sie zeigen an, wo der Besitz beginnt und wo er endet. Das muss laut brasilianischem Gesetz auch sichtbar sein. Aber ein Stacheldrahtzaun hält keinen davon ab, nicht dort einzudringen. Dafür verletzt er jedoch Tiere. Unsere Katzen und Hunde haben sich schon mehrfach am Rücken durch den Stacheldraht verletzt. Sie erkennen den Draht nicht als Hindernis. Für sie ist er nur wie ein Zweig, der beim Durchschlüpfen nachgibt. Auch einen gato-mourisco, eine mit dem Puma verwandte Wieselkatze, die bei uns im Atlantischen Regenwald lebt, habe ich schon beobachtet, wie sie von mir ungewollt aufgeschreckt, verzweifelt versucht hat, einen Fluchtweg zu finden. An dem Stück des Waldweges, wo ich auf sie gestoßen bin, waren aber die Grundstücke beider Seiten mit Stacheldrahtzäunen ausgestattet. Wild ist sie auf und ab gelaufen, bis sie es dann doch geschafft hat, sich unter den Stacheldraht durchzudrängen und in den dichten Wald zu fliehen. Ob sie sich dabei verletzt hat, weiss ich nicht. Selbst kleine Verletzungen können im tropischen Sommer jedoch schnell zu großen Wunden werden und zum Tod führen. Fliegen legen in den kleinen Verletzungen ihre Eier ab, aus denen in 24 bis 48 Stunden hunderte Larven schlüpfen, die sich dann durch das Fleisch der Tiere fressen.

Nicht genug damit, dass J. Stacheldraht zur Einzäunung verwendet hat. Nebenbei hat er diesen auch noch auf unserer Seite gespannt. Am oberen Ende war er zwar nur einen halben Meter auf unserem Grundstück. Aber der Zaun verlief schräg auf unsere Seite hinein. Bei 150 Meter Grenzlänge werden daraus mehrere Meter am anderen Ende. "Wer wird denn schon um einen halben Meter streiten" hat er gesagt und dabei wie üblich die Hände gerungen. "Nein, streiten werden wir nicht. Du entfernst den Zaun einfach wieder", habe ich ihm damals geantwortet und ihn darauf aufmerksam gemacht, dass unser Grundstück amtlich vermessen und eingetragen ist, er bei einem Streit also den Kürzeren ziehen würde. Er hat den Zaun wieder abmontiert.

Die Erfahrungen mit ihm mahnen uns zur Vorsicht. Die Bäume, die er vermeintlich auf seinem Grundstück gepflanzt hat, stehen zum Teil direkt auf der Grenze. Die auch in Brasilien geltenden Abstandsregeln kennt er, wie die meisten hier, nicht. Etliche der Bäumchen hat er zudem auf unserer Seite gepflanzt. 

Alessandro und ich sind heute deshalb losgezogen, Grenzen zu setzen. Wir haben zwischen dem oberen Grenzstein und dem am Sumpf weiter unten gelegenen eine Schnur gespannt, um zu sehen, wo genau die Grenze verläuft. Es ist mir ein Rätsel, wie es die Indios im Amazons-Regenwald geschafft haben schnurgerade kilometerlange Wege zu bauen. Immer wieder stand uns eine Palme oder ein Baum im Weg, haben Schlingpflanzen und die mit Stacheln bewehrten Blätter der Baumfarne unsere Schnur zur Seite gedrückt. Es hat eine Weile gedauert, bis wir mit dem Buschmesser kleine Lücken geschlagen haben und die 150 Meter lange Schnur frei gespannt war. Nein, wir haben die Bäume nicht umgeschnitten. Es hat gereicht, ihre Stämme mit einem Pfosten ein paar Zentimeter auf die Seite zu drücken. 

Grenzverlauf durch Schnur markiert
Die zwischen den Bäumen aufgehängte
Schnur zeigt unsere Grundstücksgrenze.
Die Stecken rechts markieren frisch
gepflanzte Bäume.
Weil unser Gelände hügelig ist, hängt die Schnur jetzt in einigen Bereichen nur wenige Zentimeter über dem Boden, während es in anderen zwei oder mehr Meter über dem Boden sind. Das ist kein Problem. Wichtig ist nur, den genauen Grenzverlauf zu sehen, damit wir Pfosten aufstellen können. Alessandro hat mehrere Pfosten aus Beton gegossen. Die wird er Morgen entlang der Schnur verteilen. Nein, die Pfosten werden wir nicht mit Stacheldraht bestücken und auch nicht mit einem anderen Draht. Es reicht, wenn durch sie der Grenzverlauf zu sehen ist. Sollte dann irgendwann einmal die Umweltbehörde kontrollieren, ob der Frevler die auferlegte Buße eingehalten hat, muss dann halt Nachbar J. erklären, warum er die Bäume auf zwei Grundstücken gepflanzt hat. Die Grenzen sind jedenfalls gesetzt.


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