Hoffnungsschimmer: Impfung gegen Coronavirus

vacinação contra Covid-19
Beim Impf-Go-Thru


 Endlich. Die erste Dosis. 

Nachdem in Antonina in den vergangenen Monaten alle über 60-Jährigen sowie Menschen mit Bluthochdruck oder Autoimmunkrankheiten, Lehrer und Sicherheitskräfte gegen den Coronavirus geimpft wurden, sind jetzt die 50- bis 59-Jährigen an der Reihe. 

Logisch bin ich gleich heute früh hin. 153 waren schon vor mir da. Bis zum Abend wollen sie 1.500 geimpft haben.

Ich habe mit einer ewig langen Wartezeit gerechnet. So schlimm war es aber doch nicht. Nur eineinhalb Stunden musste ich warten. Dann durfte auch ich durch den Go-Thru laufen. Die zweite Dosis gibt es erst im September. 

AstraZeneca. Mir wär ja die in China entwickelte Coronavac lieber gewesen. Die beruht auf dem gleichen Prinzip wie die Grippeimpfung. Natürlich habe auch ich gegen das neue System und die AstraZeneca meine Vorbehalte. Als Naturkind ist meine Skepsis gegenüber der Gentechnologie nicht gerade gering.

Aber da war sie die Angst, die mich seit Monaten im Griff hat. Es ist die Angst, irgendwo in einem Gang eines Krankenhauses abgestellt ersticken zu müssen, weil ein UTI-Platz fehlt, weil Sauerstoff fehlt, weil Pflegekräfte fehlen. Die Angst am Bett angebunden werden zu müssen, weil die Sedierungsmittel mal wieder ausgegangen sind. Die Angst die UTI nicht zu überleben. Die Chancen, dass das passiert,  sind in Brasilien leider gross. 80 Prozent der wegen Covid Beatmeten überleben nicht. 

Die vergangenen Wochen waren besonders schwierig. In unserer Region sind die Krankenhäuser schon wieder überfüllt. Über 1.000 Coviderkrankte warten in Paraná auf einen Krankenhaus- und UTI-Platz. 6.000 hatten Glück und einen Platz ergattert, werden derzeit von Ärzten und Pflegekräften im Krankenhaus und der Intensivstation behandelt. 6.000. Das entspricht ganz Allershausen oder ganz Kiefersfelden. Als wäre die gesamte Bevölkerung Allershausens gleichzeitig in Behandlung oder die von Kiefersfelden. Unvorstellbar? Ja. Aber leider Realität - und das nur bei uns hier in Paraná. Wieviele es in ganz Brasilien sind, weiss ich nicht.


Ein Meer von Toten

So viele sind schon gestorben. Mittlerweile ist es egal, ob du aufpasst oder nicht. Meine Freundin und Bambuspartnerin Marcia ist nie ohne Maske und Desinfezierungsmittel aus dem Haus, hat auf Abstand geachtet und dann war sie plötzlich heisser, hat das Bewusstsein verloren und nach fast vier Wochen Kampf das Leben. Nein, sie hatte, wie so viele andere auch, keine Vorerkrankung.

Während es bei euch selten ist, jemanden zu kennen, der Covid-Opfer geworden ist, kenne ich hier in Brasilien mittlerweile keinen mehr, der nicht mindestens einen geliebten Menschen an den Coronavirus verloren hat. Die Nachbarin musste ihre Mutter begraben. Cida hat in nur einer Woche ihren Bruder und ihre Schwester verloren. Dona Vera ist dem Coronavirus erlegen und meine Marcia ebenso. Bekannte mit nur 29 Jahren sind gestorben, Josés Frau und sein 23-jähriger Neffe ebenso, zwei junge Cousins von Alessandro und tausende andere auch. 

Beinahe 470.000 Menschen haben in Brasilien bereits den Kampf gegen Covid verloren. Über 1,1 Millionen gelten derzeit als aktive Fälle. Tatsächlich sind es wahrscheinlich wesentlich mehr. Es wird immer noch viel zu wenig getestet. Als mein Schwiegervater wegen Covid ins Krankenhaus musste, hieß es lapidar, dass seine Frau nicht getestet werden müsste. Auch wir, die wir Kontakt hatten, wurden nicht getestet. Lediglich Schwiegermutter wurde damals geraten, daheim zu bleiben. Das ist nicht schwer. Sie ist bettlägrig. Sie wurde monitoriert, oder das, was hier darunter verstanden wird. Alle paar Tage hat jemand von der Vigilância bei ihr angerufen und gefragt, ob es ihr gut gehe. Das war das Monitoring. Und wir? Uns wurde nicht einmal ein Daheimbleiben geraten. Wir hatten uns trotzdem freiwillig isoliert.

Paraná, ein mittelgroßer Bundesstaat Brasiliens. 11,4 Millionen Einwohner und damit nur etwa ein Achtel der Bevölkerung Deutschlands. Allerdings wurden bereits über 1,1 Millionen positiv getestet. Fast 27.000 von ihnen sind an den Folgen von Covid gestorben. 


Was ich gerne hätte: einen Lockdown

Ihr beschwert euch über Lockdown und Beschränkungen? Wir wünschen sie uns. Nur wenige Gemeinden haben tatsächlich einen Lockdown gehabt, viele davon nur für ein oder zwei Wochen. Meistens sieht es so aus, dass es nachts ab 21 Uhr eine Ausgangssperre gibt, Fitnesscenter, Kino oder Unterhaltungseinrichtungen zubleiben müssen, der Rest mit einer Kapazität von 50 Prozent funktionieren darf. 

Curitiba hat am vergangenen Wochenende die "bandeira vermelha" verhängt, rote Stufe. Die Belegung der Krankenhäuser soll bei 104 Prozent liegen, es soll an Sedierungsmitteln fehlen. Und der Lockdown? Ja, es gibt so etwas, geschlossene Hotels, Restaurants und Baumaterialläden mit delivery, Supermärkte und Bäckerreien auf. Theoretisch sollten nur essentiell notwendige Bereiche öffnen dürfen. Dazu zählen inzwischen aber auch die Kirchen. Sonst darf jeder rumlaufen, wohin er will. Nur nachts muss er daheim bleiben. Es ist ein Versuch, die steigenden Fallzahlen zu senken. Ob es greifen wird? Die Nachbargemeinden haben jedenfalls nicht mitgespielt. Dort ist alles auf. Auch bei uns ist alles auf. Morgen ist Samstag. Da werden dann wieder die Curitibaner die Küste und auch unsere Region überrennen, um den Beschränkungen in ihrer Stadt zu entkommen und den Virus ein wenig weiter zu verbreiten.

Glaubt mir, ohne Beschränkungen wird das Leid ein Tsunami. Und vor Geschäftsschließungen hilft das Aufbleiben auch nicht. Offiziell hat Brasilien inzwischen 14,8 Millionen Arbeitslose. Fast 50 Millionen leben bereits an der Armuts- und Hungergrenze, ein Viertel der Bevölkerung. Vor vier Jahren waren es weniger als fünf Prozent. Immer mehr Geschäfte schließen, auch dort, wo es keinen Lockdown gibt. Die Nachfrage ist gesunken, die Preise sind gestiegen und das Chaos auch.


Impfung als Hoffnung

Die meisten unserer Bekannten hoffen jetzt auf die Impfung. Dass mit ihr die Pandemie unter Kontrolle gebracht werden kann, zeigt das "Projekt S". Dazu sind 95 Prozent der erwachsenen Bevölkerung des Munizips Serrana mit zwei Dosen Coronavac geimpft worden. Das Ergebnis: die Zahl der Covid-Todesopfer ist um 95 Prozent gesunken, die der Krankenhauseinlieferungen um 86 Prozent. Laut der Studie würde mit einem Impfindex von 75 Prozent der Bevölkerung das gleiche Ergebnis erreicht.

Ich will wieder leben. Ich will nicht mehr jede Woche einen neuen Menschen betrauern müssen. Und ich will auch nicht mehr mit dieser Angst leben müssen, irgendwann doch auch in die Todesspirale zu geraten. Es reicht. 

Ich glaube, es ist unnötig, noch weitere Argumente für eine Impfung aufzuzählen: Zu viele Tote, zu viel Leid, Angst und ein Virus, der nicht gerade wählerisch ist.

Lasst euch impfen. Wartet nicht darauf, dass der Virus von alleine verschwindet. Das tut er nicht, so lange er Futter in Form von uns Menschen findet. 

Kommentare

mondin hat gesagt…
Liebe Gabriela, das tut mir in der Seele weh! Aber es ist gut, daß Du das alles so beschrieben hast. Ich werds weiterverteilen.
Was bin ich froh, daß Du die 1. Impfung hast!! Alessandro ist auch schon geimpft?
Übrigens ist auch bei uns die Überlebenschance der beatmeten Patienten eher gering, leider...
Ich drück Dich ganz doll, Ursel <3
Gabriela B. Lopes hat gesagt…
Liebe Ursel,
ja, Alessandro ist am Sonntag geimpft worden. Es ist erst die erste Impfung, die Erleichterung ist trotzdem enorm. Eigentlich hatten wir ja damit gerechnet, dass wir erst im September oder Oktober die erste Impfung erhalten. Dann ist Antonina aber seltsamerweise eine Menge von 4.000 Dosen zugeteilt worden. Der Gesundheitssekretär hat keine Sekunde gezögert, die Werbetrommel gerührt und in 3,5 Tagen war alles verimpft. Damit sind jetzt fast 60 Prozent der Erwachsenen Antoninas geimpft. Hoffe, dass es in Curitiba und Cascavel auch endlich vorwärts geht mit dem Impfen....
Ganz liebe Grüsse und Bussi, Gabriela

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