Das Coronavirus sorgt für Distanz im Regenwald

Bin heute zur Nachbarin rüber gestiefelt. Sie hat etwa 200 Meter weiter ein kleines, grünes Holzhäuschen. Eigentlich lebt sie in der 100 km entfernten Stadt Curitiba, kommt aber regelmäßig mit ihrem Mann zu ihrer Datscha, dem Wochenendhäuschen im Grünen. Seit zwei Wochen hat sie sich nun dort gemeinsam mit ihrer 79-jährigen Mutter einquartiert, um dem Coronavirus in der eng besiedelten Stadt zu entgehen.

Sie bleibt zwei Meter vor mir stehen. Auch im Regenwald halten wir Distanz. Statt dem in Brasilien üblichen Begrüßungsbussi gibt es ein fernes Namaste mit Verbeugung. Als wir die Köpfe wieder heben und uns in die Augen blicken, sagt sie entschuldigend: "Das ist jetzt unsere Begrüßung, du weißt schon, Corona." Das gleiche hat sie an den Tagen davor auch schon gesagt.

Wenn es mir als Deutscher schon schwer fällt, jetzt bei der Begrüßung Abstand zu halten, wie seltsam muss es dann für die Brasilianer sein, die ihrer Kultur zuwider nun völlig auf Bussi und Umarmung verzichten müssen.  Am liebsten hätte ich ihr gleich eine tröstende Umarmung gespendet.

Stattdessen strecke ich ihr den Teller mit der Nachmittagsbrotzeit hin. Ich habe Brötchen gebacken und ofenwarme Semmeln für sie und ihre Mutter im Gepäck, samt Maracujamarmelade, die ich gestern noch eingekocht habe. Wer mich kennt, wird jetzt lachen. So häuslich war ich selten. Ob das der Corona-Effekt ist? Vielleicht ist es ja so eine von meinem Unterbewusstsein verordnete Art der Solidaritätsquarantäne mit den Städtern.

Die Nachbarin rührt sich nicht, sie sieht die guten Gaben nur von der Ferne aus an. Weil sie sie nicht nimmt, stelle ich sie auf den Gartentisch. Da stehen sie und sie bedankt sich mit einem überschwenglichen Wortschwall aus der Zweimeterdistanz. Dann gehe ich wieder.

Ob sie Semmeln und Marmelade danach erst einmal hygienisiert hat? Sie hat schon vor Corona alles, was ins Haus kam noch vor der Türschwelle mit Alkohol oder einer Chlorlösung eingesprüht, wie sie mir neulich gestanden hat. Bisher ist mir das gar nicht aufgefallen, wenn ich mal was vorbeigebracht habe. Das mit dem Vorbeibringen von Brot, Semmeln oder anderen Kleinigkeiten ist hier unter den Landmenschen übrigens durchaus üblich. Jeder hilft dem anderen, wo es möglich ist und sorgt auch mal für nette Überraschungen.

Aber jetzt gelten wohl andere Regeln. Die hat zwar keiner erlassen, sind aber scheinbar da. Ein bißchen doof komme ich mir nun doch vor. Ist das übertrieben alles abzusprühen, abzuwaschen? Brot und Marmelade kamen ja schließlich nicht aus dem Supermarkt. Ist es Hysterie? Bin ich zu relaxed?
Egal. Sie hat sich ja gefreut und das ist es ja, was zählt.

Kommentare

mondin hat gesagt…
Diese Angst, von der ich auch von vielen Menschen in Brasilien höre, hat ja vermutlich mit den großen Unterschieden zu tun, was aktuell in Brasilien dazu gesagt wird: die Einen sagen, daß alle Vorsichtsmaßnahmen Quatsch seien, die andern desinfizieren den gesamten Einkauf...
Es hat aber leider auch damit zu tun, daß der Einzelne nicht gelernt hat, sich eine eigene Meinung zu bilden, selber zu denken und seinen gesunden Menschenverstsnd einzusetzen. Und das ist jetzt in dieser Situation absolut tragisch :(
Nur ein Beispiel: meine Cousine hat Krankenpflege studiert und macht meine Schwiegermutter verrückt, weil der andere Cousin zum Schwatz ans Hoftor gekommen ist. Jetzt solle sie das Hoftor desinfizieren...Himmelherrgottsakra!
Natürlich kommt die Angst auch daher, daß sich die allermeisten Brasilianer eben nicht von einem Gesundheits-und Sozialsystem aufgefangen wissen können, wenns hart auf hart kommt.
Auf Deine leckeren Semmeln mit Marmelade!!!
Gabriela B. Lopes hat gesagt…
Der neueste Rat lautet, dass du die Pfoten von Hunde und Katzen desinfizieren sollst, bevor sie ins Haus kommen. Ich bin ja keine Infektologin oder Virologin, aber ich bin doch skeptisch, was das überhaupt bringt, die Pfoten der Hunde nach dem Gassigang mit Desinfektionsmittel einzusprühen. Ganz abgesehen davon, was das an den Pfoten verursachen kann. Was bin ich froh, hier im Wald zu leben...

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