Lasterstreik: Leere in der Stadt

Nur drei Tage waren notwendig, um für ein Chaos zu sorgen. Am Montag (21.04.18) haben die LkW-Fahrer ihren Streik begonnen. Die Rede ist von 500.000 Brummifahrern, die mit ihren Lastern wichtige Verbindungs- und Zufahrtsstraßen blockiert haben.

Am Dienstag sind in einigen Regionen Brasiliens bereits Waren knapp geworden. Am Mittwoch fehlte vor allem in kleineren Städten schon Benzin und Diesel. Als wir am Mittwoch zum Einkaufen in der Stadt waren, haben wir sie gesehen, die Schlangen vor den einzigen zwei Tankstellen, die es in dem 18.000 Einwohner zählendem Munizip gibt. Kurz später hat unser Nachbar vom Aus des Treibstoffes berichtet. Am Freitag sind auch in den Metropolen die Zapfsäulen fast aller Tankstellen trocken. Dort, wo es noch Benzin gibt, bilden sich Kilometerlange Schlangen davor. Manchmal muss die Polizei eingreifen, um gewalttätige Streits um den restlichen Sprit zu vermeiden.

Ausgegangen ist der auch an einigen Flughäfen. In den Abendnachrichten werden Passagiere dazu aufgerufen, doch vorher nachzufragen, ob ihr Flug auch wirklich geht oder ob er abgesagt worden ist, um unnötige Fahrten zum Flughafen zu vermeiden.

An den Häfen werden die Ankerplätze knapp. Den Schiffen fehlt es an Treibstoff und an Containern, weil Soja, Fleisch, Zucker und sonstige Waren nicht ankommen. Um hohe Lagerkosten zu vermeiden, entscheiden etliche Kapitäne, ihre Route auch mit nur halb vollem Laderaum fortzusetzen. Schnell wird von Schäden in dreifacher Millionenhöhe gesprochen.

An einzelnen Häfen kommen den Brummifahreren Fischer zu Hilfe, versperren mit ihren Kuttern die Hafenausfahrten.

Etlichen Großmarkthallen fehlen nach wenigen Tagen das Obst und das Gemüse. Statt vom üblichen, hektischen Treiben sind die Umschlagplätze für allerlei Waren von einer gähnenden Leere geprägt.

Warten auf den Omnibus

Vor allem in den größeren Städten und Metropolen führt der Dieselmangel zu einem Chaos im Nahverkehr, bleiben viele Busse in den Garagen. Den Rest müssen sich hunderttausende Menschen teilen. Die Folge sind Stunden des Wartens, um sich dann in einen Bus zu quetschen und die Fahrt zur Arbeitsstelle aufzunehmen.

Rufe vorher an, hat Alessandro mir noch geraten, als ich heute mit dem Bus in die Stadt fahren wollte. Seit Mittwoch gibt es in Antonina schon keinen Sprit mehr. Ich rufe nicht an, gehe das Risiko ein, an der Bushaltestelle vor den Bananenstauden umsonst zu warten. Als ich dort eintreffe, stehen Seu Antoninho und seine Frau schon da. Er wird schon kommen, sagt sie. Bei so wenigen Bussen in Antonina wäre es doch schwierig, dass denen der Diesel ausgeht.

Fast überall drehen sich die Gespräche um den Brummifahrerstreik - auch in der Stadt. Unser Omnibus ist nicht ausgefallen. In unserer Rüttelschüssel dreht sich ebenso alles um den Streik. Sie sollen nicht aufhören, sollen weitermachen, sind sich die zwei Männer vor mir einig. Wir wurschteln uns schon durch, fügt die Frau nebenan hinzu und verweist damit auf die immer leerer werdenden Regale in den Supermärkten. Versorgungsengpass heißt das.

Leer ist auch die Stadt. 

Während der Ölkrise in den 70er Jahren gab es in Deutschland autofreie Sonntage. Damals sind wir mit unserem Vater zur Autobahn gelaufen. Wir wollten sehen, ob es stimmt, dass auf der tatsächlich keine Autos zu sehen sind.

Jetzt sieht die Altstadt Antoninas am Samstag so aus, als wäre ein autofreier Sonntag ausgerufen worden und fast alle würden sich daran halten. Nur vereinzelt zuckelt ein Auto irgendwo vorbei. Zu Hause geblieben sind aber auch Radfahrer und Passanten.

Es ist ein angenehmer Tag mit 20 Grad Wärme, ein wenig Sonne. Genau so einer, wie er perfekt für einen Stadtbummel wäre. Wäre. Die wenigen Touristen, die es wochenends nach Antonina treibt, haben wahrscheinlich zu wenig Benzin im Tank, um eine Reise das Gebirge hinunter an die Küste zu wagen.

Wann es wieder Sprit geben wird, ist nicht absehbar. Am Donnerstag haben sich eigentlich einige der LkW-Fahrer-Vereinigungen und die brasilianische Regierung auf einen Punktekatalog geeinigt. Der sieht stabilere Dieselpreise und Steuersenkungen vor. Die Brummis sind trotzdem nicht gerollt. Am Freitag hat Brasiliens Präsident Michel Temer dann ein Dekret für einen Militäreinsatz erlassen. Militär und Polizei sollen die Blockaden auflösen. Geschehen tut vorerst nichts.

Warum lässt sich die Regierung dieses Mal so viel Zeit? Brasilien ist mit Antworten auf Proteste und Demonstrationen eigentlich nicht gerade zimperlich. Vor wenigen Jahren hat die Militärpolizei in Curitiba ungehemmt auf demonstrierende Lehrer eingeschlagen. Bei den Protesten 2013 und 2014 war es nicht anders.

Erst Samstagnacht werden die meisten der Brummi-Blockaden aufgelöst und die Schnellstraßen wieder befahrbar. Beim Großteil kam nicht die Armee, sondern die Polizei zum Einsatz. Laut Dekret kann das Militär hingegen bis zum 4. Juni in sämtlichen Bundesstaaten Brasiliens aktiv werden.

Auf der Suche nach dem Diabetes-Medikament für die Schwiegermutter klappere ich die Apotheken ab. In der dritten werde ich fündig. In den Nachrichten heißt es, dass in großen Krankenhäusern Operationen verschoben werden, weil Medikamente, Material und Sauerstoff knapp werden. In vielen Gesundheitsposten Brasiliens ist das auch ohne Streik der ganz normale Alltag.

Theoretisch ist das Diabetes-Medikament kostenlos am Posten zu erhalten. Da ist es schon vor Wochen ausgegangen, in der Volks-Apotheke Antoninas ebenso.

Noch sind viele Regale des größten Supermarktes unseres Städtchens gut bestückt. Nur die Fleischtheke ist sehr übersichtlich und halb leer, die Kaffeebox ebenso. Gemüse gibt es. Das mag auch an den erhöhten Preisen liegen. Seit gestreikt wird steigen sie. Ein Sack mit 50 Kilogramm Kartoffeln ist in den Großmarkthallen vor dem Streik für 50 - 75 Reais verkauft worden. Jetzt müssen die Händler 200 bis 500 Reais hinlegen, 10 Reais pro Kilogramm. Steigend ist auch der Milchpreis. Viele Bauern müssen ihre Milch wegschütten, weil sie nicht abtransportiert werden kann.

Preissteigerung

Antonina bleibt bisher von Hamsterkäufen verschont. In einigen Großstädten hamstert die Bevölkerung hingegen schon seit Tagen. Ich kaufe vorsichtshalber ein Päckchen Milchpulver und einen Kaffee mehr.

Wir sollten den Streik unterstützen, sagt eine Bekannte, die ich im Supermarkt treffe. Schließlich sei nicht nur der Diesel teuer, sondern auch das Benzin. Der Liter kostet derzeit über 4 Reais. Umgerechnet ist das nur ein Euro.  Allerdings können für 4 Reais beinahe zwei Kilogramm Mehl gekauft werden oder ein Kilogramm Vollkornreis.

Am Abend heißt es, dass einige der Arbeiter des Ölkonzerns Petrobras in den Streik getreten sind. Der war für den 12. Juni angekündigt und scheint jetzt zumindest teilweise vorgezogen zu werden.

Währenddessen eskortiert die Polizei Tanklaster, damit Omnibusse, Sanker und Polizeiwagen betankt werden können. Warum es keine Eskorten für die Laster mit lebenswichtigen Medikamenten und Operationsmaterial gibt, wird nicht erklärt.

Offene Fragen

Viele Fragen bleiben offen, auch die, ob der Streik anhalten wird. In der Bevölkerung scheinen die Brummifahrer Unterstützung zu finden. Bei meinem Stadtausflug habe ich keine einzige Gegenstimme gehört. An allen Ecken wurde diskutiert und an allen Ecken war der Grundtenor Zustimmung. Die geht den regierenden Politikern hingegen immer mehr verloren.

Wie die meisten Brasilianer sind auch wir vorerst noch gut mit Lebensmitteln versorgt. Wie sagte Antonnhos Frau? "Wir wurschteln uns schon durch." Orangen und Mandarinen hängen reif an den Bäumen. Die Bananenstauden sind voll mit Früchten. Die Taioba wächst prächtig und ein paar der Inhame sind ebenso bald erntereif.

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