Wahlbesuch

Von Weitem waren sie schon zu hören, lachende Frauen und Kinder, redend über dies und das. Wir waren gerade mal beim Bambusschneiden, als die Gruppe laut bellend von Schäferhündin Hanna empfangen wurde.

Am kommenden Sonntag sind Kommunalwahlen. Etwa 18.000 Einwohner zählt das Munizip Antonina, das so groß ist wie ein ganzer Landkreis. Im Stadtrat wird die Bevölkerung von elf "vereadores" vertreten, die alle vier Jahre neu gewählt werden. Dieses Mal haben sich 138 Männer und Frauen für die elf Sitze beworben.  Unter ihnen ist auch Tania. Eine junge Frau, die etwa 3 Kilometer von uns entfernt mit ihrer Familie lebt. Sie hat sich am Sonntag, wie auch an den voran gegangenen Wochenenden, auf den Weg gemacht, um für sich zu werben.

Die "Passeatas" sind eine der wenigen Möglichkeiten, die den Kandidaten geblieben sind, um auf sich aufmerksam zu machen. Die meisten sammeln Freunde und Unterstützer um sich und ziehen mit einer Schlange aus mit Plakaten bestückten Autos die Straßen entlang. Zwischendurch wird angehalten und werden den Passanten Flugblätter überreicht. An verschiedenen vorher festgelegten Punkten steigen alle aus ihren Autos aus und schwingen die Kandidaten Reden.

Tania hat einen anderen Weg gewählt. Sie geht zu Fuß von Haus zu Haus, redet mit jedem, versucht die Nachbarschaft zu überzeugen, für sie zu stimmen. Schnell bildet sich eine Gruppe um sie, ziehen Nachbarn und Bekannte mit ihr. Bis sie heute bei uns angekommen ist, hatte sich eine lustige Gesellschaft mit Frauen und Kindern um sie herum gebildet. Ich habe sie weiteren Nachbarn bei uns in der Nähe vorgestellt, nicht nur wegen des Wahlkampfs, sondern weil es auf dem Land durchaus wichtig ist, die hier lebenden Menschen zu kennen. "Hier sind wir auf uns selbst angewiesen und ein jeder hilft dem anderen", hat Nachbar Alsibirdes mal gesagt. Das bewahrheitet sich immer wieder, wie bei der Katastrophe vom 11. März 2011, als unsere Region wegen der Muren von der Umwelt, Strom und Trinkwasser abgeschnitten war, oder erst neulich, als die Busfahrer wochenlang gestreikt haben und wir auf "caronas", Mitfahrgelegenheiten, angewiesen waren.

Dass der Wahlkampf dieses mal so leise und anders ausfällt, liegt an einem neuen Gesetz, das allen möglichen bisher üblichen Schnickschnack verbietet. Noch vor zwei Jahren waren Straßen und Gehsteige voll mit "placas", Plakaten auf Holzständern. Dazwischen standen dann zeitweise fahnenschwenkende Frauen und auch ein paar Männer. Flugblätter und "santinhos", kleine Zettel mit dem Konterfei der Kandidaten, wurden den Passanten nachgeworfen. Nicht jeder konnte sich das ausufernde Spektakel leisten. Alles und jeder musste bezahlt werden, sogar die Personen, die für das tägliche Auf- und Abstellen der Plakate verantwortlich waren, weil die theoretisch nachts nicht auf Straßen und Bürgersteigen stehen durften. Graphiker und Schreiner haben ebenso verdient, mit der Anfertigung von hunderten Holzständern und tausenden Flugblättern und Plakaten. Sogar die Fahnenschwenker haben Geld für die Beweihräucherung ihrer Kandidaten erhalten. Damit ist jetzt Schluß.

Statt der Plakate mit grinsenden Gesichtern auf der Straße gibt es jetzt tägliche Posts mit grinsenden Menschen in den sozialen Netzwerken. Tania veröffentlicht dort zur Freude der Nachbarschaft Fotos von ihren Passeatas, ohne groß Kommentare dazu zu fügen.

Vielleicht schafft sie es ja, gewählt zu werden. Sie ist tatkräftig, engagiert, jung und voller Ideen. Aber wahrscheinlich werden die alten Hasen, eine eingefleischte Männerriege aus alteingesessenen Familien in der Stadt, wieder gewinnen - weil das immer so war.

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