Geräuschvoller Regenwald mit Jacu

Ein seltsam lauter Ruf eines Tieres und Ästeknacken schrecken Liane hoch. Bis dahin hatte sie die Ruhe ihrer "chácara" genossen. Etwa 1,5 Kilometer von uns entfernt, mitten im Wald liegt ihr Anwesen, das sie zweimal in der Woche besucht. Sie lebt in der Stadt, ist in der Stadt aufgewachsen und hat die chácara als Datscha zur Erholung an den Wochenenden gekauft.

Jetzt läuft es ihr eiskalt den Rücken hinunter. Was ist das für ein Ruf, der lautstark die Stille verdrängt und den ganzen Wald einnimmt? Ein Jaguar? Ein Puma? Oder "nur" ein "bugio", Affen?

Das Tor des rund herum eingezäunten Grundstücks ist wie eine Schneuse weit geöffnet. Sie steht neben dem Auto, in dessen Kofferraum sie gerade ihre Ernte gestellt hat, eine Kiste voll mit Manã Cubiu und anderen Früchten.

Da ist der Schrei schon wieder. Ist er näher als vorher? Aus welcher Richtung kommt er? Und wenn es doch ein Jaguar ist, der sie als Beute auserkoren hat? Jetzt gilt es handeln. Sie knallt den Kofferraum zu, rennt ums Auto, setzt sich hinein und wartet. Erst da fällt ihr auf, dass sie den Schlüsselbund auf dem Tischchen vor der Küche hat liegen lassen. Sie wartet und sieht gespannt zum Tor hinauf. Kein Puma und kein Jaguar ist weit und breit zu sehen. Das will nichts heißen. Sie können sich auch irgendwo im Wald dahinter versteckt haben. Vielleicht ist das Tier auch schon innerhalb der Abzäunung, hinter dem Haus, zwischen den Bäumen, unten am See.

Wenn sie doch nur den Schlüssel per Telepathie in ihre Hand bringen könnte. Gegen einen Puma oder Jaguar hätte sie wenig Chancen. Sie springen ihre Beute von hinten an und zielen direkt auf den Hals. Eine Attacke würde sie nur schwer überleben und wenn, dann würde sie wahrscheinlich verbluten, bevor sie irgendwer findet. Der nächste Nachbar, etwa 200 Meter weiter im Wald, würde sie nicht hören. Er ist nach Curitiba gefahren und würde erst am nächsten Tag wieder  zurückkommen. Ihr Mann und ihr Sohn würden sie vermissen. Vielleicht würden sie sich aber auch nur denken, dass sie auf der chácara übernachtet.

Es bleibt kein Ausweg, sie muss es schaffen, zum Schlüssel zu kommen. Lange wartet sie. Als sich die Sonne schon senkt, beschließt sie doch noch zum Tischchen zu rennen. Beinahe fällt sie, als sie sich wieder ins Auto wirft. Aber sie hat es geschafft, steckt den Schlüssel in die Zündung, dreht ihn um fährt aufbrausend davon. Das Tor bleibt auf und auch die Tür der Küche.

Erst ein paar Tage später traut sie sich wieder zu ihrer Datscha. Sie erzählt mir von dem Vorfall und ahmt den schrecklichen Ruf des Tieres nach. Noh immer ist sie aufgeregt, wenn sie daran denkt, was sie durchgestanden hat.

Jaguare verirren sich nur äußerst selten an die Küste. Anders sieht es bei den Pumas aus. Seine Spuren haben wir schon rund um unseren Brunnen gefunden. Ab und zu hören wir sein Raunzen, das mindestens die Dezibel-Marke eines Schwerlasters erreicht. Normalerweise bricht er dabei aber keine Äste und Zweige.

Lianes Nachahmung hört sich eher an, wie der Schlachtruf des Jacus, des Vogels, der mich immer wieder an den Auerhahn erinnert, den ich als Jugendiche einmal in den verschneiten Bergen der Voralpen beim Balztanz beobachten konnte.

Jetzt teilen wir unseren Lebensraum mit seinen Hühnervogelverwandten. Sie haben sich längst an uns gewöhnt, picken herunter gefallene Araça-pera, Guaven und andere Früchte und auch die, die noch an den Ästen hängen. Morgens und nachmittags staken sie nur wenige Meter vom Haus entfernt über die kleine Waldlichtung, verfolgt von den Augenpaaren der Katzen, die die großen, schwarzen Hühnervögel mit Ehrfurccht betrachten.

Vor allem in den Dämmerungsstunden sorgen sie manchmal für ein gewaltiges Spektakel. Auch außerhalb der Paarungszeit ist ihr fauchartiges Gekrächze zu hören. Werden sie bei ihrer Mahlzeit gestört, fliegen sie fauchend auf, um sich unweit auf einem Ast niederzulassen. Die Äste halten aber nicht immer das schwere Gewicht der Jacus aus, der dann solange von Ast zu Ast weiterhüpft, bis er einen stabilen Halt gefunden hat.

Liane, ich bin mir sicher, dein geräuschvoller Besucher war ein Jacu. Mehrfach habe ich ein Pärchen dieser wilden Hühnervögel schon auf ihrer chácara gesehen, als ich dort den Bambus für ihre Pergola geschnitten und behandelt habe.

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