Seu Sebastião, Boneca und das Gold

Sebastião ist gestorben. Die Nachricht verbreitet sich noch in der Nacht wie ein Lauffeuer.  Nur wir, wir erfahren es erst am nächsten Tag in der Früh. Die "Nachbarn" der Umgebung haben Angst vor unseren Hunden und vielleicht auch vor dem dunklen Waldweg. Sein Körper ist längst schon nach Curitiba gebracht worden, in die Stadt hoch oben auf dem Hochplateau gut hundert Kilometer entfernt das Küstengebirge hinauf. Dort lebt sein Sohn. Dort wird er zum Velório aufgebahrt und in weniger als 24 Stunden nach seinem Tod begraben. Beim Velório waren keine Nachbarn dabei. Zu weit weg, als dass sie ihm mit der Totenwache, die letzte Ehrung hätten erweisen können.

Seinem ledrigen Gesicht und seiner faltigen Haut zu schließen war er ein Methusalem. Vielleicht hat er aber auch nicht einmal 70 Jahre erreicht. Das harte Leben als Kleinlandwirt zeichnet die Körper der Menschen, lässt sie um Jahrzehnte älter wirken.

Sebastião war einer der ersten "Nachbarn", mit denen wir Kontakt hatten, als wir vor sieben Jahren an den Rand des Regenwaldes gezogen sind. Ein kleiner, hagerer Mensch, in dem eine nie vermutete Kraft steckte. Seine chácara ist etwa einen Kilometer von uns weg. Gemeinsam mit seinem Schwager hat er die Grenzen unseres Grundstückes gemäht und ist dabei fast im Sumpf versunken. Er war ein "Malandro", ein Gauner. Manche erzählen, dass er in jungen Jahren mit seinen "Gegnern" nicht zimperlich umgegangen sei. Ganz am Anfang unseres Waldlebens haben wir ihn einmal erwischt, als er ein paar Bananen aus dem verwaisten Bananal am Ufer unseres kleinen Baches klauen wollte. In gebeugter Haltung, mit dem Facão (Buschmesser) in der Hand kam er den Trampelpfad vor unserem Grundstück entlang, redete etwas vom Wetter und den Wilderern, die damals hier noch ihr Unwesen trieben. Dann ging er weiter und wir entdeckten neben einem Busch am Wegesrand einen Sack mit reifen bananas maçã aus unserem bananal. Vielleicht wollte er diese an seine Tiere verfüttern oder in Geld umtauschen. Ich habe ihn nie gefragt.

Sebastião hatte einen großen Respekt vor unseren Hunden. Schäferhund Hanna mochte ihn nicht, hat einmal versucht, auf ihn loszugehen, als er mit seiner Karosse den Weg entlang kam. Sebastião war selten zu Fuß unterwegs. Meistens saß er nach vorne gebeugt auf seiner Karosse, den Hut weit ins Gesicht gezogen. Boneca, ein kleines klappriges Pferd leistete ihm treue Dienste, wenn er täglich bis an den Stadtrand des etwa acht Kilometer entfernten Antonina trottete, um dort die Reste aus der Palmitofabrik zu holen. Futter für seine Kuh, Pferd, Gänse, Hühner, Schweine. Meistens ist er dabei eingenickt. Boneca kannte den Weg, trottete dann zum Verdruß der Autofahrer gemächlich in der Mitte der Straße dahin. Zu einem Unfall ist es nie gekommen. Nur einmal, als Boneca in der Nähe des Hauses von Sebastião gemütlich graste, hatte sie weniger Glück. Waraum auch immer, ist sie in einen Graben gefallen und hat sich das Genick gebrochen. Sebastião hatte schnell Ersatz gefunden, irgendetwas aus seinem großen Lager an alten Gerätschaften und Alteisen für einen anderen Gaul eingetauscht.

Wenn er an uns vorbei trottete hat er Boneca mit einem kurzen Ruck und einem "Eia" zum Stehen gebracht, drehte den vorgebeugten Kopf zu uns herum und lugte schief unter seinem Hut hervor, ohne dabei den Kopf zu heben. "Está passeando?", fragte er dann. Passear wird für Spaziergänge, Ausflüge, Fahrten in die Stadt verwendet. Standardfrage Nummer zwei bezog sich auf die Arbeit. "Muito trabalho?". Irgendwie schaffte er es mit den beiden Fragen immer, auf sein Lieblingsthema zu kommen. Geschichten.

Seu Sebastião erzählte die wundersamsten Geschichten auf meisterliche Weise. Geschichten, die eigentlich Legenden hier in der Region sind, wandelte er in eigene Erlebnisse um. Einmal waren sie auf der Roça, dem Feld, um es zu bearbeiten. Die Sonne brannte unerbärmlich und sie suchten sich einen Platz im Schatten eines Baumes. Da setzte er sich auf einen Stein. Als er mit der Hand neben den Stein griff, spürte er plötzlich etwas Kaltes. Die Gesten, wie er mit der Hand auf etwas stößt immitiert er, schaut kurz auf die andere Seite, als ob da sein companheiro sitzen würde, dreht uns den Kopf wieder zu und erzählt weiter. Nur einen Teil des dort gefundenen Goldes hätten sie mitnehmen können. Als sie am nächsten Tag zurückkehrten. Sei der Topf mit dem Gold plötzlich hinter dem Stein gewesen und nicht mehr neben ihm. Als sie dann nachsahen, staunten sie nicht schlecht. Der Topf sei wieder voll gewesen und das Gold, das sie entnommen hatten, wieder dort drinnen gewesen.

Seu Sebastião schmückte seine Geschichten unendlich aus. Stellte zwischendurch Fragen, um zu sehen, ob wir verstanden haben, was er da erzählt hat, schnalzte mit der Zunge, spuckte aus und war in seiner Welt der Geschichten versunken.

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