Coral
Ich habe sie nicht
gesehen. Wären da nicht die Katzen gewesen, wäre ich vielleicht sogar drauf
gestiegen. In der Nachmittagshitze liegen die Katzen eigentlich immer träge
rund ums Haus herum verteilt. Als wir gestern vom Gassigang mit den Hunden
zurück kamen, standen zwei von ihnen aber in Habachtstellung auf der Stufe vor
dem Eingangsbereich und starrten in eine Richtung. Verharren sie in einer
Stellung und starren vor sich hin, weiß ich, da ist etwas. Und da war wirklich
etwas. Eine Coral. Eine äußerst giftige Schlange, versteckt im Gras direkt vor
dem Eingang. Rot, weiß, schwarz geringelt. Alarmfarben. Dennoch fallen sie kaum
auf. Die, die ich bisher hier gesehen habe, waren alle nur etwa 40 bis 50
Zentimeter lang und nur wenig dicker als mein Mittelfinger. Vom Gras umgeben
sind sie nur schwer auszumachen.
Panik wäre vor ein paar Jahren noch meine natürliche Reaktion gewesen. Die Panik hilft aber nicht viel. Inzwischen habe ich gelernt. Die meisten Schlangen greifen nicht so ohne Weiteres an, außer du steigst auf sie drauf. Häufig bleiben sie einfach bewegungslos dort liegen, wo sie aufgestöbert wurden. Manche machen sich auch einfach nur auf und davon. Andere rasseln erst einmal mit ihrem Schwanz, um ihr Gegenüber einzuschüchtern und darauf hinzuweisen, dass eine mögliche Attacke ihrerseits bevorsteht. Die Coral mit ihrem tödlichen Gift ist indes eher friedlich gesinnt, was nicht heißt, dass sie nicht zubeißt, wenn ihr potentielle Feinde zu Nahe kommen, besser gesagt, äußerst Nahe kommen. Vor ein paar Wochen bin ich mit den Hunden nur einen halben Meter entfernt an einer Coral vorbei spaziert, ohne dass etwas passiert wäre. Sie hatte es sich auf einem Baumstumpf bequem gemacht, von wo aus sie uns wohl schon eine Weile lange beobachtet hatte, wie wir so den Weg herunter kamen. Mir ist sie gar nicht aufgefallen. Ein Bekannter, der einen der Nachbarn besuchen wollte, entdeckte sie.
Die Coral von gestern lag
wie eingefroren da. Die Katzen ebenso eingefroren. Die Zeit stehen geblieben.
Und wir mitten drin. Alessandro nahm sich eine der Bambusstangen, die überall
am Haus herum angelehnt sind, weil ich keinen wirklichen Lagerplatz habe.
Angesichts der Begegnung gestern, sollte ich meine Pläne für ein Bambuslager
noch einmal überdenken. Stellte es sich doch als äußerst praktisch heraus, eine
Bambusstange griffbereit zu haben. Mit der Stange versuchte Alessandro, die
Schlange aufzugabeln, um sie weiter hinten im Wald wieder auszusetzen. Nein,
Schlangen müssen nicht umgebracht werden. Normalerweise kommen sie nicht bis
zum Haus. Ausserdem gibt es hier im Wald so viele, dass wir mit dem Umbringen
gar nicht nachkommen würden.
Dass diese Coral es sich
direkt vor dem Eingang bequem gemacht hatte, hatte einen Grund. Ausser den
Katzen beobachteten auch zwei Riesenechsen ein paar Meter weit entfernt das
Schlangentier. Wahrscheinlich hatten sie die Coral irgendwo im Unterholz
aufgestöbert und zur Flucht gen unser Haus getrieben.
Während Alessandro damit
beschäftigt war, die Schlange aufzugabeln, lockte ich die Katzen mit einem
Wienerwürstl, um sie von der Serpente abzulenken. Das Aufgabeln schlug fehl.
Stattdessen schlängelte die Coral angesichts der Stupser mit der Bambusstange
davon. Später haben wir beobachtet, wie eine der Riesenechsen die Schlange
zielsicher mit ihrem Maul hinter dem Kopf packte, sie schüttelte bis ihr das
Genick brach und dann genüßlich auffraß. Wie froh bin ich, Katzen und
Riesenechsen als Mitbewohner unseres “Sítios”, unseres Hofes, zu haben.
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