Auch Antonina geht auf die Strassen


Die Proteste in Brasilien halten an. Am Donnerstag waren nach offiziellen Verlautbarungen in ganz Brasilien über eine Millionen Menschen auf den Strassen, um gegen Geldverschwendung, gegen Korruption, gegen Preiserhöhungen, für eine bessere Gesundheitsversorgung, bessere Schulbildung und überhaupt zu demonstrieren.

Waren es zunächst vor allem Jugendliche, die protestierten, sind mittlerweile alle Altersschichten vertreten. "Die Jugendlichen von 1968 unterstützen die Jugendlichen von heute", ist auf einem der vielen Banner zu lesen. Die meisten Banner mahnen, kritisieren, fordern. Veränderungen sind gefragt. "Der Elefant ist erwacht", ist ein weiterer Spruch. Lange hat der Elefant geschlafen. Jetzt reicht es ihm.

Sogar in Antonina haben sich Menschen versammelt, um zu demonstrieren. Antonina, ein kleines Hafenstädtchen mit einer der schönsten Meereseinbuchtungen Amerikas. Verschlafen, hohe Arbeitslosigkeit, wenig Perspektiven für junge Menschen. Die meisten jungen Menschen wandern ab,  in die grossen Städte. Die Einwohnerzahl Antoninas nimmt stetig ab. So um die 18.900 sind es momentan. Die Zahl war schon einmal dreimal so hoch. Das ist lange her.

Dennoch, Veränderungen sind in Antonina schon seit ein paar Jahren zu spüren. Kleine Veränderungen. Häuser werden gestrichen, renoviert, Geschäfte geöffnet und es wird mehr diskutiert. Und jetzt das. Junge Menschen auf der Strasse. Manche halten nichts davon. Andere sind froh, dass auch die Antoniner ihre Wut kundig tun. Es rührt sich was. Auch Antonina ist aufgewacht.

"Wir wollen  Krankenhaus und Schulen in FIFA-Qualität" -
Antonina hat zwar ein neues Krankenhaus, das ist aber
verschlossen, weil Einrichtung und Ärzte fehlen...

Ins Facebook habe ich Bilder und zwei kleine Videos von der Demonstration gestellt. 89 compartilhamentos in kürzester Zeit - und das, obwohl ich erst seit ein paar Tagen im Facebook vertreten bin, mich mit diesem "Sozialen-Netz"-Zeugs nicht wirklich auskenne. Die Demonstration in Antonina war klein. Anfangs versammelten sich gerade einmal 50 Menschen. Vor allem Schüler und Studenten, aber auch ein paar Bekannte, Lehrer, Rentner, Ingenieure. Den ganzen Tag über hatte es geregnet. Auch abends hat der Regen nicht nachgelassen. Die Demonstranten ebenso nicht. Die einen mit Schirm, die anderen tropfend nass zogen sie durch die Strassen, riefen "komm, komm auf die Strasse, komm", hielten Banner hoch, forderten Veränderungen. Begleitet von einem Aufgebot an Polizei, das an Wackersdorf erinnerte: 150 Demonstranten, drei nagelneue Streifenwagen, über 20 Polizisten bewaffnet mit Schlagstöcken und Gummigeschossen, wahrscheinlich auch Pfefferspray. Zum Einsatz kamen sie nicht. Der Frieden siegte.


Demonstranten singen mit dem Rücken
zur Câmara (Stadtratsversammlung) die
Nationalhymne.

Vor der "Câmara dos vereadores" (Versammlungshaus der Stadträte) hielt der Zug an. Zuerst standen die Menschen etwas ratlos herum. Dann fing einer plötzlich an, die Nationalhymne zu singen. Fast alle stimmten mit ein und alle, alle drehten dem ehrenvollen Haus dabei ihren Rücken zu, als Protest. Sie zogen weiter, begleitet von Schaulustigen, die sich aus den Fenstern des ersten Stockes beugten, die vor die Geschäfte traten. Nur einer der Geschäftsinhaber hatte angst. Als er die Demonstranten näher kommen sah, holte er schnell seine Werbeplakate rein, verrammelte die Tür. Auch da ging die Demonstration friedlich vorbei. Vor der Prefeitura, der Gemeindeverwaltung, wiederholte sich die Rückenansicht mit Hymne.

Später stöberte ich im Facebook. Vor allem junge Menschen hinterliessen Kommentare. Manche witzelten über die geringe Zahl der Teilnehmer, vergessend, dass Antonina selbst nicht gerade viele Einwohner hat und dass es in Strömen regnete. Bei schönem Wetter kann jeder demonstrieren, lautete ein Kommentar im Facebook. Dort erhielt die Aktion aber auch viel Zuspruch. Wichtig ist, dass Antonina teilgenommen hat, dass es nicht geschlafen hat, dass wenigstens ein paar Einwohner zeigen, dass sie sich sehr wohl dafür interessieren, was um sie herum geschieht. Das ist es, worauf es ankommt. Gegen Korruption lassen sich die schönsten Gesetze machen. So lange jeder wegsieht geht die Geldverschiebung schön weiter. Wissen die Beteiligten aber, dass da jemand ist, der aufpasst, der sich dafür interessiert, was die Politiker machen, was die Stadtvertreter machen, wohin das Geld fliesst, wird das mit der Korruption auch schwieriger.

über die Ansprache von Präsidentin Dilma Rousseff  gestern, gab es indes weniger Kommentare. Sie mahnte zu friedlichen Demonstrationen, versprach ein paar Veränderungen. Das Geld aus dem ölverkauf (royalties) soll in die Erziehung und Bildung investiert werden, das wollte sie sowieso schon immer, nur gab es aus Rio de Janeiro Gegenbestrebungen. Neu ist, dass die Präsidentin Vertreter der Demonstranten zu einem runden Tisch laden will, dass sie über eine bessere Bürgerbeteiligung nachdenkt. Immerhin nachdenkt.

Die Demonstrationen indes gehen weiter. Für Antonina ist eine für den nächsten Dienstag angekündigt - dann, wenn der Stadtrat tagt....

Während in vielen brasilianischen Städten
nur wenig Polizei bei den Demonstrationen
zugegen ist, war das Aufgebot in Antonina
im Verhältnis zur Demonstrantenzahl hoch.



Kommentare

mondin hat gesagt…
Wie heisst Du auf Facebook ??
LG Ursel
Gabriela B. Lopes hat gesagt…
Hallo Ursel,
geht es dir gut? Hoffe, ihr seid im Trockenen, habe von überschwemmungen in cascavel gehört...

face: Gabriela B. Lopes

bj Gabriela
mondin hat gesagt…
Och, Überschwemmungen direkt nicht, aber wir kriegen langsam Schwimmhäute, habe keine trockenen Putzlappen, Handtücher etc. mehr..
Aber morgen soll es trockener werden.
Immerhin haben wir Strom, da kann man das Wichtigste hinterm Kühlschrank trocknen ;)
Und Ihr ?
LG Ursel
Stela hat gesagt…
hihi ich habe euch beide auf facebook gefunden u freundschaftsanfragen gestellt!LG

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