Weltbewegend

So, jetzt habe ich es mal wieder zu hören bekommen. Nein, sagte er, das verstehe er nicht, dass ausgerechnet ich ein "ultraüberholtes" Haus bauen möchte. Wo ich es doch besser wissen sollte. Wo ich doch aus der "ersten Welt" kommen würde. Bambus und Lehm seien Baustoffe aus dem vorvorigen Jahrhundert, wurde ich belehrt. Im Hinterland vielleicht, dort wo die Caboclos hausten, da würden vielleicht noch ein paar Nichtsbesserwissende ihr Hütten aus Lehm bauen. Viecher, Termiten und Ameisen würden solche Häuser anziehen. Ausschauen würden "die" Hütten wie frisch aus der Favela.

Ich hätte gerne etwas dazu gesagt. Zum Beispiel, dass er ein Depp ist und von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Das mit dem Depp habe ich mir geschenkt. Für das Tuten und Blasen fiel mir auf die Schnelle keine passende Übersetzung ein. Kelvin hat mir noch "Nervensäge" zugeflüstert. Das Wort habe ich ihm neulich beigebracht. Voller Stolz, dass er es sich merken konnte, wendet er es jetzt bei jeder Gelegenheit an. Stolz ist er dabei natürlich auch darauf, dass ausser ihm und mir hier keiner weiss, was es bedeutet.

Während ich noch am Überlegen war, hat ein Bekannter eine Antwort für mich übernommen. Die Zukunft liege im Bambus, hat er gesagt. Weil sich daraus alles machen liesse. Luxushotels zum Beispiel. Er sinnierte noch ein wenig vor sich hin, dass es doch komisch sei, dass nur extrem Arme oder extrem Reiche mit Bambus und Lehm bauen würden.

Extrem reich. Das Stichwort liess sich der Erste nicht entgehen. Ha, ich sollte es doch endlich zugeben, dass ich meine Millionen unter dem Bett versteckt habe. Der Dollar sei niedrig, aber der Euro, der Euro sei hoch. Er hatte wahrscheinlich noch den Wechselkurs von vor zwei Jahren im Kopf. 2,40. Extrem schlechter Kurs. Immerhin lag der Euro schon mal bei 3,70 R$. Pssst, habe ich gesagt. Verrate das mit den Eurokoffern unterm Bett bloss nicht den Einbrechern.

Dann kam mir Alessandro zur Hilfe, fragte, ob er denn neulich nicht die Nachrichten gesehen hätte, die in denen sie Bilder von der eingekrachten Brücke aus Stahlbeton gezeigt haben. Egal ob Beton oder Bambus, es kommt darauf an, wie das Material verwendet wird, hat er gesagt. Mit dem Beispiel des Madrider Flughafens, dessen Halle unter anderem mit Bambus gebaut wurde, hat er ihn zum Schweigen gebracht. Schade, dass mir nicht schnell genug eingefallen ist, dass er genau betrachtet ja auch in einem Lehmhaus wohnt. Ziegel sind schliesslich nichts anderes als gebrannter Lehm oder Ton. Die meisten Ziegel, die hier an der Küste so verwendet werden sind zudem schlechter Qualität, dünn und extrem bröselig. Egal, die nächste Gelegenheit kommt bestimmt.

Wie erfreulich war da hingegen das Zusammentreffen mit einer anderen Nachbarin. Neulich schon blieb sie neugierig stehen, weil sie die Bambusstücke gesehen hatte, die ich vor dem Haus auf einem Gestell zum Trocknen gelegt habe. Versuchsobjekte. Angefangene Vasen, Windlichter, Windspiele und Federmäppchen. Sie war so begeistert von meiner Versuchsreihe und den Möglichkeiten, die der Bambus bietet, dass sie sich vor ein paar Tagen von einem ihrer Freunde ein paar Bambusstangen hat bringen lassen, mit denen sie nun die riesigen Vasen am Hauseingang zieren will. Heute hat sie mir Freude strahlend erzählt, dass ihr Freund ihr ein paar Riesenbambusse bringen wird. In einer Zeitung habe sie Fotos von Stehlampen aus diesem Riesenbambus gesehen. Solche Stehlampen will sie jetzt auch. Und ob ich ihr denn ein paar Tipps geben könnte. Sie würde mir auch ihren Topfbohrer leihen. Das hat mich doch gleich wieder ein wenig mit meiner "Umwelt" versöhnt. Sie ist eben doch in Bewegung, die Welt. Selbst hier in Brasilien...

Kommentare

kvinna hat gesagt…
Das ist der Konflikt zwischen der sogenannten Ersten und allen anderen Welten: sie wollen alle immer noch auf den Luxus 'raufkommen (Steinhaus, Auto, Fernseher et cetera pe pe) dessen Kehrseiten wir inzwischen kennengelernt haben und von dem wir einen praktizierbaren, natürlicheren Weg weg suchen. Sie glauben uns nicht, dass das einen Pferdefuß hat, was sie uns neiden. Dabei könnten sie's soviel besser haben als wir...
Grey Owl Calluna hat gesagt…
......besser wie Kvinna könnte ich`s wohl auch nicht sagen.....
Gabriela B. Lopes hat gesagt…
Hallo Ihr Zwei,

genauso ist es, Kvinna! Die meisten reagieren noch dazu äusserst genervt, wenn jemand aus der sogenannten ersten Welt versucht, sie davor zu bewahren, die gleichen Fehler zu machen, die in der "ersten Welt" schon vor Jahrhunderten begangen wurden - die Abholzung von Urwäldern ist da beispielsweise auch ein tolles Thema. Ich versuche ja schon, mich gedanklich in die Lage der anderen zu versetzen. Aber es ist wohl so, wie mit Kindern. Wenn du ihnen sagst, dass es weh tut, die Hand ins Feuer zu halten, glauben sie dir vielleicht, versuchen es aber trotzdem, um ihre eigenen Erfahrungen zu sammeln. Dazu kommt, dass hier leider grosse Firmen aus Europa, Japan und den USA genau die Dinge toll anpreisen, die in den eigenen Ländern schon zu Ladenhütern verkommen.
Und du hast Recht, Kvinna, sie könnten es wirklich viel besser haben. So tollen Tonboden wie hier gibt es in D nicht so oft. Den Bambus auch nicht. Und überhaupt brauchst du hier keinen Keller bauen, die Dachneigung muss nicht so steil sein, weil kein Schnee darauf fällt, die Natur bietet Baustoff ohne Grenzen und und und...
Wer weiss, ein paar einsame Kämpfer gibt es ja bereits, die in "Permakulturen" leben. Drei oder vier Dörfer sind es bereits, die völlig autonom versuchen, im Einklang mit der Natur zu leben und zu arbeiten....

liebe Grüsse
Gabriela
kvinna hat gesagt…
Ja, nun, ist das ein Wunder? Jahrzehntelang haben Kolonialmächte das Selbstwertgefühl der Völker auf der Südhalbkugel kleingetreten, haben ihr eigenes "Besser-Sein" zur Schau gestellt und nun kommen ihre Nachfahren in Frieden und erzählen, neinnein, DAS braucht ihr nicht, ihr seid ohne das viel besser 'dran.

Tja, und dass sie wie Kinder sein sollen macht mir ein wenig Bauchweh.

Wer sagt denn, dass WIR auf dem richtigen Weg sind mit der Art und Weise, in der wir uns von unserem Lebensstandard lösen wollen, um ihn verträglicher zu machen für den Planeten den wir bewohnen?

Jeder hat ein Recht auf seine eigenen Erfahrungen. Auch auf die ganz üblen.

Und bevormunden können oder dürfen wir sie nicht, finde ich. Schon gar nicht unter dem Gesichtspunkt, "nur ihr Bestes zu wollen".

Da sträubt sich mir alles.
Stela hat gesagt…
Guten Morgen zusammen,
Kvinna hat das schön auf den Punkt gebracht:wer gibt uns das Recht anderen Menschen, Völkern Kulturen irgendwelche Verbesserungsvorschläge
machen zu wollen?
Neuerdings müssen ja
Umweltschutz,Ozonloch und andere verlogene Konstrukte dazu herhalten
Knechtschaft und Ausbeutung der "Entwicklungsländer" auf perfide Art noch viel weiter auszubauen als es je möglich schien und wir alle tun gut dran uns die "Informationen" die uns zu diesen Themen gewährt werden mit großem Misstrauen zu beäugen!
Jetzt hab ich mich aber in Fahrt geschrieben-mein Lieblingsthema.
Gabriela, du hast mit dem Bambus etwas Wunderbares für dich und für euch entdeckt-erwarte nicht,dass du hier oder sonstwo in der Welt ALLZUVIELE Leute findest,die diese Begeisterung verstehen oder sogar teilen.
Stela(selbst bambusbegeistert)
Gabriela B. Lopes hat gesagt…
Hallo Ihr alle,

"Besserwissen", "Besser-Sein", Erfahrungen sammeln...

Es geht gar nicht um das "Besserwissen". Es wäre ja durchaus möglich, dass jemand aus den Fehlern anderer lernen könnte. Ein paar zaghafte Ansätze dazu gibt es ja, wie eben die Dörfer der Permakulturen oder die Ex-Umweltministerin, die sich tatsächlich für die Umwelt eingesetzt hatte und nicht nur Scheindebatten betrieben hat. Es ist nur einfach schade, zu sehen, was es für tolle Möglichkeiten gibt, die so ziemlich tot geschwiegen werden, weil eben "Mächte" am Werk sind, die eine Kopie der "ersten Welt" wollen und sich dem nicht gerade sozial- und umweltverträglichen Neoliberalismus verschrieben haben - so wie das auch in vielen Ländern in Europa der Fall ist. Unterstützt wird das Ganze leider eben von mächtigen Leuten aus den USA und Europa. Schade ist ebenso die Desinformation, die ganz gezielt betrieben wird. Die meisten Medien sind hier sehr einseitig und alles andere als objektiv. In Deutschland gibt es wenigstens eine gewisse Medienvielfalt, die hier nahezu fehlt, es gibt mehr Informationen zum Umweltschutz und eben auch zum Leben im Versuch die Natur zu respektieren. Das fehlt hier nahezu gänzlich. Umweltschutz ist etwas, von dem die meisten glauben, dass er nicht notwendig ist, weil es doch noch "so viel Natur" hier gibt. Da dröhnt der Herr Präsident, dass doch die erste Welt bitteschön erst einmal wieder Bäume pflanzen soll, weil es in Europa nämlich, laut Lula, schon keinen einzigen Baum mehr gibt, und gleichzeitig verkauft er Teile des Amazonas an amerikanische und japanische Holzfirmen und Minengesellschaften, hält seinen Spezln, den Grossgrundbesitzern die Stange (ja, die, die tausende von Hektar abbrennen, um darauf Rindviecher für die USA und Europa weiden zu lassen oder Soja anzubauen) und schert sich nur wenig darum, dass Umweltschutz zuallervorderst seinen eigenen Leuten zugute kommen würde. Das hat wenig mit "eigene Erfahrungen sammeln" zu tun, als mehr mit Geldscheffeln. Und nur darum geht es leider. Den Regierenden würde es jedenfalls nicht sehr zu Pass kommen, wenn das Volk plötzlich über ganz einfache Umweltschutzmassnahmen aufgeklärt würde, wenn es plötzlich feststellen würde, dass sich mit anderen Materialien viel besser und billiger bauen lässt. Dann liessen sich nämlich nicht mehr so tolle Geschäfte mit internationalen Firmen machen, deren Ableger den Wahlkampf finanzieren.

Ich glaube ebenso, dass viele in Deutschland genauso wenig auf dem richtigen Weg sind. Wenn ich mir vorstelle, dass einfache Dinge, wie Wäschewaschen im Baukastensystem jetzt wieder neu entdeckt werden, obwohl die Ökos das schon vor mittlerweile 30 Jahren praktiziert haben, wird mir ebenso schlecht. Verzicht aufs Auto oder wenigstens Teilverzicht, weniger Konsum, weniger Fleischverzehr - alles alte Kamellen aus den 80ern - und wie viele machen mit? Das beschämt mich ebenso, obwohl ich selbst von dem Pferd schon vor 25 Jahren abgesprungen bin.

Ja, es ist richtig, alles was unter dem Deckmantel "öko" verkauft wird, genau zu betrachten. Den Ethanol etwa. Erst neulich haben sie wieder "Sklavenähnliche" Bedingungen bei einer dieser Alkoholkraftwerke festgestellt - bei einem halbstaatlichen wohlgemerkt! Dann schon statt Öko-sprit lieber aufs Fahrrad oder ein 3-Literauto (auch das kennt hier kaum einer, geschweige denn das Elektroauto, was für die Innenstädte eigentlich genial wäre...)

Vielleicht bin ich einfach zu radikal oder betrachte das Ganze zu schwarz-weiss. Es gibt ja durchaus auch anders denkende Menschen hier - meist reichere, die eine bessere Bildung haben. Wer weiss, wie es in 20 Jahren aussieht. Ich hoffe doch, dass es endlich einmal klappt und die Grundbildung für alle verbessert wird. Immerhin wurden die "Ökos", die vor 20 oder 30 Jahren in Deutschland ein Holz- oder Lehmhaus gebaut haben, womöglich noch mit Regenwasserzisterne und Solarpainels bestückt, von den meisten genauso ausgelacht und schief angeschaut.

Sicher ist jedenfalls, dass wir alle etwas tun müssen, nicht nur die in der ersten oder zweiten, sondern auch die in der dritten Welt. Es muss aufgeklärt (nicht bessergewusst und vorgeschrieben!) werden und es muss gehandelt werden, von jedem einzelnen, nicht um die Natur zu schützen (die kommt ohne uns ganz gut zurecht), sondern, um weiterhin Menschen ein Leben auf dem Erdball zu ermöglichen.

Wer weiss, vielleicht kann ich ja wirklich mit unserem Bambusprojekt ein paar Skeptiker umstimmen. Den lieben Verwandten mit seinen tollen Argumenten, werde ich auf jeden Fall einladen, wenn alles steht, damit ihm die Spucke wegbleibt...

Ja, da war ich jetzt auch in Fahrt... mit der Tastatur, ohne Ethanol...

liebe Grüsse an Euch und in der Hoffnung auf Bewegung in den Köpfen und diversen Welten

Gabriela
kvinna hat gesagt…
Ich kann so gut verstehen, wie dich das quält, das alles mit ansehen zu müssen. Mir gibt es auch einen Stich, wenn ich lese, was da läuft.

Das Beste, das du machen kannst, ist, diesen Schmerz loszulassen und in deinem Kreis zu tun was du kannst.

Wenn das jeder macht, gibt es keinen Grund, die Hoffnung zu verlieren.

Das klingt jetzt ganz schön salbungsvoll, aber so ist das. Mit schmerzhaften Zerren und Zerrenlassen bewegt sich nicht wirklich etwas.
Ursel hat gesagt…
Apropos Bambus :

hast Du nicht Lust, mal was zum Wahlkampf zu schreiben ??
Da biegt sich auch alles in alle Richtungen, je nachdem,woher der Wind weht, richtig flexibel eben..
Gut, dass ich nicht wählen muss.
Hier sind sogar die Kandidaten der Arbeiterpartei (PT, Regierungspartei momentan) stinklangweilig !!

Gruss an die Küste, wo es in der Hinsicht hoffentlich ruhiger ist oder besser steht oder beides..

LG Ursel

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