Königliche Worte und ein Georefernciamento

huch, schon ist es März. Und das, obwohl der Februar doch länger war, als sonst. Naja, einen Tag wenigstens.

Der erste Schritt ist besiegelt. Das Grundstück ist bezahlt. Im Gegenzug haben wir ein paar abgestempelte Dokumente erhalten, mit Siegel und schwungvollen Unterschriften, eingeheftet in einen Umschlag, auf dem das Wappen von Brasilien prangt.

"Höret - hiermit wird der Öffentlichkeit zum Wissen gebracht, dass die Rechte am Besitz sich ändern; am siebenundzwangisten Tag des Monats Februar im Jahre 2008, in dieser Stadt, die Morretes genannt wird, im Staate Paraná, im Cartório, vertreten durch mich der Tabliã, sind erschienen, die rechten Parteien und geben bekannt: Paulo Roberto Boros und seine Frau Delsi Teresinha Olinger Boros, Brasilianer, verheiratet und in einer Zugewinngemeinschaft lebend...."

So königlich liest sich unser Kaufsvertrag. Über zwei Seiten hinweg wird ausführlich beschrieben, wem das Grundstück seit wann gehörte und wer es gekauft hat. Daten über Geburt, Hochzeit und Standesämter sind festgehalten und ebenso Abmessungen und Lage des Erdfleckens.

Mit dieser schönen Urkunde besitzen wir nun ein Stück wunderschönes Land. Gehören tut es uns damit noch nicht wirklich. Wie die meisten Grundstücke hier, ist es eine "Posse" - ein Besitz und kein Eigentum.

Das mit der "Posse" ist geschichtlich bedingt. Zu Zeiten, als es der König von Portugal hier noch waltete, hat dieser seinen Untertanen für kleine Gefälligkeiten und als Bezahlung riesige Gebiete vermacht. In diesen Gebieten siedelten Menschen. Sie besassen vielleicht sogar ein Stück Grund, auf dem sie ihr Haus stehen hatten, und auf dem sie das Land bestellten. Das Eigentum über dieses Land lag aber bei den "Kapitänen" oder beim König, die Posse indes bei den Untertänigsten.

Als Brasilien zur Republik wurde, wurden diese Eigentums- und Besitzverhältnisse nicht gleich fest- und umgeschrieben. Später kamen dann einfach neue Gesetze dazu, ohne dass die meisten Grundstücksverhältnisse tatsächlich geregelt und registriert wurden. Schuld daran war nicht der mangelnde Wille, eher schon die Grösse des Landes. 24 Mal ist Brasilien grösser als Deutschland und es gibt immer noch Flecken, die noch von keinem Kartografen oder Vermesser betreten oder auch nur von der Luft aus besichtigt wurden.

Theoretisch hat jeder Brasilianer ein Recht auf ein Stück Land, von dem er sich ernähren kann. Praktisch gibt es ein paar riesige Fazendas, die schon mal die Grösse von Belgien oder Hessen oder noch grösser erreichen können. So gehören allein dem Blairo Maggi 150.000 Hektar Land, auf dem er Soja anbaut. Dann sind da noch ein paar kleinere Landwirte und Privatleute und natürlich auch Städte und Gemeinden und der Staat, denen auch ein wenig Land gehört. Achja, und mittlerweile ein paar, vor allem ausländische, Organisationen, die in Brasilien Regenwald oder Sumpfgebiet aufkaufen, um sie in den Industriestaaten im Sinne des CO2 Handels zu Gold zu verwandeln. So können sich Firmen und Länder ein grünes Gewissen kaufen, ohne dass sie ihren CO2-Ausstoss verringern müssten, wie es eigentlich im Protokoll von Kioto festgelegt ist.

Zurück zur Posse. Wie gesagt, Brasilien ist riesig und viele Gebiete sind, anders als in Europa, noch nicht einmal kartiert. Klar, in grossen Städten wie São Paulo, Rio de Janeiro oder Brasilia ist das anders. Von der Gesamtfläche Brasiliens machen die Grossstädte allerdings nur einen winzingen Teil aus. Der grosse Rest ist Regenwald, Savannenartiges Hochland, Sumpf-Savanne, Gebirge, Halbwüste und landwirtschaftlich bestelltes Land, in dem es ein paar grosse Verbindungsstrassen und ein paar kleinere Erd- und Sandstrassen gibt.

Um es ein wenig anschaulicher zu machen, versucht euch doch vorzustellen, eure Oma hat vor hundert Jahren ein Häuschen mitten im Bayerischen Wald gebaut, auf einem Grundstück, das ihr der Graf zur Verfügung gestellt hatte. Dort lebte sie fröhlich vor sich hin. Grundbuchämter gab es damals freilich noch nicht. Bis zum nächsten Dorf war es eine Tagesreise, aber was wollte sie dort schon? Hatte sie doch alles, was sie zum leben brauchte direkt vor der Haustür. Ihre Kinder kamen zur Welt. Irgendwann verabschiedete sich der Graf und das Königreich und es kam die Republik. Für die Kinder änderte sich nicht viel. Ein paar zogen in die Stadt, die ein paar hundert Kilometer entfernt war, ein paar blieben, um das Land weiter zu bewirtschaften. Dann kamen die Kindeskinder, ein paar Strassen wurden gebaut, Dorf und Stadt rückten näher. Doch was ihren Besitz betraf, änderte sich nicht viel. In ein Grundbuchamt eingetragen wurde er nie. Nicht weil die Kinder das nicht gewollt hätten. Zuerst gab es ein solches Amt einfach nicht. Dann gab es vielleicht so etwas Ähnliches und sogar ein Gesetz, das eine Registrierung vorsah. Warum aber die Mühe auf sich nehmen? Sie hatten doch die Posse und konnten dies auch nachweisen. Eine Registrierung hätte da nur unnötigen Aufwand bedeutet. Sie hätten eine Tagesreise in die Stadt unternehmen müssen, einen Anwalt bezahlen, etliche Papiere vorlegen und ihr Land vermessen lassen müssen. Mit viel Geld und viel Zeit hätten sie eine Registrierung bekommen. Allein, es fehlte an Geld und an einem tatsächlichen Nutzen daraus. Es blieb also alles so, wie es immer schon war.

Und so ist es auch heute noch. Statt Grundbuchämter gibt es Cartórios, halbstaatliche Stellen, in denen in riesigen Aktenschränken Unterschriften hinterlegt und alles mögliche bezeugt werden kann. Statt mit Computern sind sie mit Schreibmaschinen ausgestattet. Das gilt zumindest für die Cartórios in den kleineren Städten. Eine zentrale Stelle, in denen alle Daten gesammelt werden, gibt es nicht. Die Gemeinde sammelt zwar ein paar Daten, hat aber auf all die wissenswerten Dinge des Cartórios keinen Zugriff und oft nicht einmal einen aktuellen Bestandsplan über das Gemeindegebiet. Computer sind nach wie vor zu teuer. Ein paar staatliche Stellen sind trotzdem schon damit ausgerüstet, sogar auch mit Satellitengestützten Programmen. Dieses neue Zeitalter steht allerdings noch in den Kinderschuhen, zumindest was die kleineren Städte mit 150.000 oder weniger Einwohner betrifft. Sie haben andere Aufgaben, die dringender zu erledigen sind. Das Abwasserproblem ist nur ein Beispiel davon.

Dazu kommt noch die Migrationsgeschichte. Etliche Menschen, die in ihrem Heimatdorf kein Auskommen finden, wandern in andere Gebiete, sei es in das Umland grösserer Städte oder irgendwo ins Hinterland, zum Beispiel an den Amazonas, in der Hoffnung dort Arbeit oder ein fruchtbares Land zu finden. Geld, von dem sie eine neue Bleibe bezahlen könnten, haben die meisten natürlich nicht. Ein Appartment oder Haus mieten ist ihnen schon deshalb nicht möglich. Irgendwo müssen sie schlafen und so besiedeln sie scheinbar Besitzloses Land. Es entstehen Favelas und manchmal Hütten aus schwarzen Plastikplanen entlang von Bundesstrassen.

Die Regierenden wissen von dem Dilemma. So richtig ran an das Problem trauen sie sich indes nicht. Nach einem Gesetz können unwirtschaftlich oder nicht bewirtschaftete Fazendas ihrem Besitzer enteignet werden. Gegen Geld natürlich, aber meist mit Zwang. Dann werden die Fazendas mit ihren tausenden Hektars in kleine Stücke geteilt und an landlose Landarbeiter vergeben. Bis dem so ist, können Jahre und Jahre über die unbestellten Felder ziehen. Das ist der Landlosenbewegung natürlich ein Dorn im Auge. Die "Landlosenbewegung" ist längst organisiert, mit hauptberuflich angestellten Organisatoren. Sie besetzen schon mal Fazendas und bestellen einfach das Land, wenn es ihnen zu bunt wird mit der Bürokratie. Natürlich kann es dann passieren, dass die Polizei eingreift und wenn nötig auch mit Gewalt vertreibt. Für was gibt es denn so etwas wie ein Eigentumsrecht? Naja, zumindest für diejenigen, die aus ihren vollen Taschen einen Anwalt bezahlen können, gilt es ja auch, dieses Recht. Das andere Recht, das, dass jedem ein Stück Erde zugesteht, steht da eben hintenan. Landlose sind meist leider auch geldlos.

All die Probleme haben die Regierenden längst erkannt. Deshalb gibt es noch ein Gesetz. Wer nachweisen kann, dass er fünf Jahre lang, ein Stück Erde bewohnt und bewirtschaftet hat, der kann sich als Eigentümer eintragen lassen und dann kann der Staat ihm sein Land nicht mehr strittig machen.

Damit sieht es so aus: so lange der Mensch auf einem Stück Land lebt, hat er die "Posse". Während der fünf Jahre macht er dann den "Uso Capião", den Gebrauch seiner Rechte. Erst dann kann er das Grundstück auf seinen Namen eintragen lassen. Die meisten tun das trotzdem nicht. Weil es wie gesagt ein wenig umständlich, zeitaufwendig und teuer ist. So kommt es, dass die meisten Grundstücke hier an der Küste Paranás eben nur "Posse" sind. Und so eine Posse haben wir jetzt. Rein theoretisch kann der Staat von uns noch einen Nachweis verlangen, dass die Posse tatsächlich schon vor unserem Kauf existiert hat und der Verkäufer das Land dem Staat nicht einfach abgeluchst hat, was leider ziemlich häufig vorkommt. So mancher dreiste Mensch verdient sich eine goldene Nase, indem er einfach ein Stück Regenwald verkauft und behauptet, es sei seine Posse. Wir haben uns deshalb vorher ein wenig umgehört, um sicher zu gehen, dass der Herr Boros auch tatsächlich der "Posse-nehmer" unseres Grundstückes ist und das schon seit Jahren. Die, mit denen wir gesprochen haben, haben uns das auch bestätigt. Soweit ist also alles im grünen Bereich.

Bevor wir den "Uso Capião" machen, unseren Besitz in Besitz nehmen können, müssen wir erst noch ein Georeferenciamento erstellen lassen. Das ist so etwas wie eine Bestandsaufnahme der Vegetation, der Topografie und überhaupt. Damit können wir dann einen Plan ausarbeiten, welche Teile wir als "Reserva Legal" ausweisen wollen, die 20 Prozent, die wir laut Gesetz der Natur überlassen müssen - was ich für äusserst sinnvoll halte (!). Und dann geht's endlich zur Umweltbehörde. Falls nicht noch was anderes kommt, weil eigentlich der Herr Boros eine Genehmigung von der Umweltbehörde gebraucht hätte, damit er sein Land aufteilen kann. Letzteres ignoriere ich einfach und bestelle schon mal beim Universum, dass alles glatt über die Bühne geht und wir spätestens in drei Wochen zum Bauen anfangen können.

Am Montag haben wir jedenfalls erst einmal einen Termin beim Topografen, der unser Stückchen Erde vermessen und all seine Teile erfassen soll.

Kommentare

Anonym hat gesagt…
Hallo liebe Lulu, das Universum soll strahlen, auf dass alles klappen kann mit Deinen Registrierungen und Aufteilungen.
Gratuliere zu Deiner "Posse", wenn das kein passender Name zum brasilianischen Bürokratius ist, ....?!
Ich freue mich für Die, liebe Grüße,
Mondgöttin
Juansi hat gesagt…
Von mir auch einen herzlichen Glückwunsch zur Urkunde und allem, was sie beinhaltet, liebe Gabriela.

Landbesitz ist ja wirklich eine seltsame Vorstellung, da haben die Ureinwohner schon recht. Aber so ist es nun mal geregelt. Wir "besitzen" hier auch ca. 2000 m3 um unser Haus herum. Meistens fühl ich mich trotzdem als Gast auf der Erde.

Lieben Gruß
Juansi
Gabriela B. Lopes hat gesagt…
Hallo meine zwei Lieben,
ja, die Vorstellung ist schon komisch, ein Stück Land zu "besitzen". Da muss ich mich auch erst noch daran gewöhnen. Eigentlich finde ich es auch gar nicht so schlecht, dass eine "Posse", ein Landbesitz, laut Gesetz nicht vererbt werden kann. Praktisch werden aber auch Possen vererbt. Theorie und Praxis eben. Ich hoffe, unser geliehenes Stück Land bringt uns Glück. Der Geologe hat gemeint, in einem der Bäche könnte durchaus Gold zu finden sein. Gold zweiter Qualität und nur wenig, hat er hinzugefügt. Jedenfalls gibt es jede Menge Bäume darauf, und Ton, und Lehm und Viecher und bald hoffentlich ein Haus....
liebe Grüsse
GAbriela
kvinna hat gesagt…
Ich hier in meinem Ballungsgebiet empfinde das Eigentum am Land eher so, dass ich damit nicht einen Anspruch an den Boden habe, auf dem unser Haus steht, sondern vielmehr so, dass mich dieser Umstand vor den Ansprüchen anderer Menschen schützt.

Sozusagen ein Rechtsanspruch auf ein eigenes Revier, Schutz eben.
Juansi hat gesagt…
Eine Freundin von mir empfindet sich schon immer als Hüterin des Stück Landes, dass sie um ihr Haus herum besitzt. Das ist auch eine schöne Vorstellung, finde ich, sich verantwortlich dafür zu fühlen, dass es allen Wesen auf dem Land gut geht, sowohl denen mit einem Körper als auch denen ohne einen physischen Körper.
Gold im Bach klingt natürlich megaspannend, aber ein schönes Haus für Euch wird wohl das wahre Gold sein...
Herzlichst Juansi
Ursel hat gesagt…
Hallo Frau Jopurnalistin,

Hut ab wiedermal !!
Kann ich alles unterschreiben und bestätigen ;)
Schön, diese Urkunden in altem Portugiesisch, nicht ?!

Ich wünsch' Dir was !!!!

LG Ursel
kvinna hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
kvinna hat gesagt…
@Juansi: Das ist für mich ein ganz neuer Aspekt. Und er gefällt mir außerordentlich gut!
Anonym hat gesagt…
Ich wede mir Mühe geben, "unser" Land gut zu hüten!

und natürlich hoffe ich, dass unser kleines Eigenheim ein "Goldstück" wird...

Ursel, wo steckst du? Ich habe dich immer wieder verpasst...

Liebe Grüsse
Gabriela
Ursel hat gesagt…
Bin dieses Wochenende zuhause :)

Vielleicht klappt's ja mal wieder !!
LG Ursel

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