Planlos

Es fühlt sich ein wenig herbstlich an - und das mitten im Hochsommer. Tagsüber ist es schwül, nachts kühlt es indes schon ein wenig ab auf angenehme 20 oder 22 Grad. Nebenbei regnet es. Nein, es schüttet. Das, was sie hier Bach nennen, ist schon ziemlich voll. Eine dunkelbraune, stinkende Brühe quält sich mit Dosen, Plastik und sonstigem Abfall durch die Lücken des grasartigen Bewuchses, der angesichts all der kloakigen Einleitungen von den Toiletten, prächtig gedeiht. Das, was sie hier Bach nennen, ist eigentlich ein Kanal, ein Kanal für häusliche Abwässer. Er wurde nicht eigens dafür angelegt. Er hat sich dazu entwickelt. Mit der Kanalisation des Städtchens, zu dem unser Wohngebiet gehört, haben sie gerade erst angefangen. Vor ein, zwei Jahren. Ein paar Häuser, die nahe des Touristenstrandes stehen, sind auch schon daran angeschlossen. Der Grossteil der restlichen Häuser und selbst das Krankenhaus sind es nicht. Von uns ist die öffentliche Kanalisation noch ewig weit entfernt. Wer weiss, ob sie auch jemals hier ankommen wird. Bei dem bisher an den Tag gelegten Tempo wird es wohl noch etliche Jahre dauern, bis sie auch nur in die Nähe kommen. Derweil verlegen die Anlieger des Baches hier kleine Rohre, in denen die Kacke direkt in den Bach fliesst. Das ist verboten. Trotzdem sind wir und ein Nachbar die einzigen unserer Strasse, die das nicht tun. Wir haben eine Versatzgrube gebaut. Die alte war schon verfallen. Der Nachteil der Grube ist, dass sie ab und an ausgebaggert werden muss. Ab und an riecht es auch ein wenig, dann, wenn es, so wie jetzt, stark regnet und sich die Grube mit Wasser füllt.

Unser "neues" Haus soll eine Pflanzenkläranlage bekommen mit vorausgehender Mehrkammergrube und anaerober Vorklärung. Wann das sein wird, steht auch noch in den Sternen. Irgendwie ist momentan bei mir die Luft ein wenig raus. Ich sitze vor den Plänen und nichts geht voran. Nicht mal den Plan für den Schuppen habe ich fertig bekommen. Gut, ich bin keine Architektin. Aber dem Ingeniör ist nichts zu schwör - hiess es früher einmal. Lange liegt es zurück. Ich hätte in den Baukonstruktions-Vorlesungen besser aufpassen sollen. Zu spät. Das hilft mir jetzt auch nicht weiter. Leider tut das auch der Alessandro nicht. Er ist eher der Typ "jetzt-mach'-ma-mal-und-dann-seh'n-mas-scho". Wir sollten vorher überlegen welches und vor allem wie viel Material wir brauchen. Wir sollten ausserdem schon einen Teil hier vorsägen und vorbereiten. Schließlich gibt es auf unserem Grundstück weit und breit keinen Stromanschluss für so Geräte wie Bohrmaschine, Stichsäge, Schwingschleifer und so.

Es soll doch nur ein Schuppen werden und kein Schloss, sagt Alessandro. Ich möchte aber nicht, dass der Schuppen beim ersten Windstoss umfällt. Vielleicht denke ich zu "deutsch", will ich alles zu ordentlich und durchgeplant machen. Da sind sie wieder, die kleinen Kulturunterschiede. Überhaupt fällt mir hier so einiges schwerer als in Deutschland. In Deutschland würde ich einfach einen Freund anrufen und um Hilfe bitten. Oder ich würde in einen Baumarkt gehen und mir Anregungen holen. Preise herauszufinden und zu vergleichen wäre ein Kinderspiel. Wo das Material kaufen wüsste ich sowieso. Hier sitzen wir vor dem PC und stöbern im Internet. Baumärkte gibt es kaum welche im Netz und wenn, dann geben die meisten keine Preise an. Die kleinen Baumärkte, die hier so in den Dörfern verstreut sind, haben nur eine kleine Materialpalette. Ökomaterial kennen sie nicht. Sie bieten das an, was am meisten nachgefragt wird. Aus ihrer Sicht verständlich. Wasserhähne aus Plastik, Holz ohne Zertifikat dafür aber oft von schlechter Qualität, Giftlack und Pressspan. Das alles zu Apotheker-Preisen.

Für viele Dinge, die ich gerne hätte, kenne ich die portugiesischen Ausdrücke nicht. Dass die Stichsäge "Tico-Tico" heisst, habe ich schon herausgefunden, auch, dass Spaks-Schrauben hier Chips genannt werden. Ich habe sogar schon einen Laden ausfindig gemacht, der Spaks hat. Der einzige im Umkreis von 100 Kilometern. 1,50 R$ das Stück. Angesichts dessen werden wir Nageln. Nägel können noch per Kilo gekauft werden.

Statt Pressspan hätte ich gerne Recycling-Platten, gepresst aus Zahnpastatuben und Ähnlichem. Eine Firma in São Paulo stellt sie her. Es gibt sogar einen Händler in Curitiba, der sie verkauft. Curitiba, 120 Kilometer weit weg. Den Preis habe ich noch nicht in Erfahrung gebracht. Auch nicht die aktuelle Adresse des Händlers. Ich werde wohl nachher noch ein wenig im Netz suchen müssen. Bekannte und Nachbarn fragen bringt nichts. Sie sehen mich nur alle an, als ob ich eine Schraube locker hätte. Wo gibt es denn sowas, einfach andere Materialien verwenden wollen, als die anderen es tun. "Du bist hier in Brasilien und nicht in Deutschland." Den Satz bekomme ich momentan besonders oft zu hören. Ich weiss wo ich bin. Das macht es aber nicht leichter. Im Gegenteil.

Manchmal würde ich mich gerne einfach hinsetzen und ein wenig heulen. Es macht mir ein wenig Angst. Ob wieder eine Depression im Anzug ist? Ich will das nicht noch einmal durchleben müssen. Und doch glaube ich hin und wieder erste Anzeichen davon zu verspüren. Vielleicht bin ich einfach nur ein bisschen überfordert. Bisher konnte ich mir nicht vorstellen, eines Tages ein eigenes Haus zu bauen, auf einem eigenen Grundstück. Es hat etwas Beängstigendes. Als würde ich mich auf ewig binden. Als wäre es eine Endstation. Ich glaube, ich brauche noch ein wenig Zeit, um mich mit dem Gedanken näher auseinanderzusetzen. Mein Verstand sagt mir, dass ein Haus keine ewige Bindung bedeutet. Er hat es aber noch nicht geschafft, meinen Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit zu besänftigen. Ich sollte mich wieder an den Plan des Schuppens machen und dann an den des Hauses und der Werkstatt, damit ich auf andere Gedanken komme.

Kommentare

Sati hat gesagt…
Hoppla .... liest sich, als bräuchtest du dringend mal ein wenig Ruhe und Muße.

Klar ist das eine Menge Holz, was da bei dir geschieht. Lies mal in deinem eigenen Blog, im Grunde reicht schon die Jahreszusammenfassung neulich - da gibt´s viel zu verdauen.
Und in einem komplett anders "programmierten" Land mit Menschen, die eine ziemlich differente Mentalität haben, ist es nicht so einfach, wenn man in schwierigen Zeiten mal ein bischen aufbauenden Zuspruch statt unqualifizierter Anmerkungen brauchen kann.

So eine kleine Depression kann da durchaus aus hilfreicher und freundlicher Motivation heraus erscheinen - um den Menschen mal kurz anzuhalten, damit er sich ausruht.

Wenn du eh nichts planen kannst, ist die Taktik von deinem Geliebten (Schaumama) vielleicht ganz gesund. Ich lebe auch viel in Schaumama inzwischen und das zunächst Unglaubliche ist: Es geht umso besser, je weniger ich mich einmische - so lerne ich Gottvertrauen. Leider ist diese jahrelang antrainierte Tendenz, irgendwelche Dinge doch unter Kontrolle haben bzw. sich gerne in Sicherheit wägen zu wollen, manchmal recht hartnäckig. Aber mit der Zeit weicht sie schon auf.

Wir drücken euch jedenfalls feste Daumen und Krallen, es wird schon. Schließlich habt ihr einige Jahre Zeit.

Anuja und der schönste Vogel im Universum
Sati hat gesagt…
PS: Hör nicht auf deinen Verstand - der will dir nur dein neues Zuhause im Paradies madig machen. So ist er nun mal.
Außer Vernunft und Vorsicht hat er nichts zu bieten - und die nähren nur den brummenden Kopf, nicht das Herz.
Meiner erzählt mir auch andauernd so einen Blödsinn: Was von Freiheit und Glück irgendwann mal in der Zukunft - und zieht mich so aus allem raus, was gerade ist.
Nene, das ist schon wirklich mutig, richtig und gut, was ihr euch da ge-traut.
Alles Liebe, Anuja
kvinna hat gesagt…
Was is'n mit den Leuten, die den Workshop veranstaltet haben in Sachen Bambus? Die müssten doch die Probleme kennen und ein paar handfeste Lösungen haben??
Gabriela B. Lopes hat gesagt…
Liebe Anuja,
danke für deinen Zuspruch. Du hast recht, das ist es, was fehlt, jemand, der konstruktiv mitwirkt und nicht dauernd nur blöde Kommentare. Und ich weiss, ich sollte mir mal eine ein weniger planlosere Zeit gönnen... Werde es versuchen. Heute geht es auch schon wieder besser, als gestern...

Hallo Kvinna,
die Leute vom Kurs sitzen in Rio oder São Paulo, so zwischen 500 und 800 Km entfernt. Es ist auch gar nicht so die Bambustechnik, die kneift. Es sind mehr die Kleinigkeiten und das Wesentliche. Wo anfangen? Wo kaufen, wie heisst das? Da können mir die Bambusjungs und -mädels leider nicht so viel helfen, weil wir eben völlig in der Pampa leben und nicht in der Grossstadt, in der du alles bekommst. Konstruktive Unterstützung gibt es auch nicht wirklich. Meine Verwandten leben 11.000 Km entfernt, meine Freunde auch. Ale's Verwandte sind nicht gerade Handwerker und die Mentalität ist eben anders. Zuerst wird hier geschaut, wie du das so machst. Danach gibt es Kritik ("Warum hast du das denn nicht so gemacht?"...) Es gibt schon ein oder zwei, die tatsächlich ihre Hilfe angeboten haben. Der eine ist aber äusserst berechnend und alles muss nach seinem Kopf gehen und der andere hat zwei linke Hände und glaubt, in der Bibel stehen sämtliche Antworten, auch die zum Hausbau. Dazu kommt, dass der Kraftaufwand grösser ist. Viele Wörter weiss ich nicht, dann muss ich umschreiben, erklären, versuchen herauszufinden, wie sie das nennen. Viele Dinge, die in D völlig normal sind, gibt es hier auch einfach nicht oder es gibt andere Normen. Da komme ich mir oft vor, wie ein Kind, das zwar ein paar Buchstaben vom ABC kann, dem aber der Rest fehlt, damit es das Buch in seiner Hand lesen und verstehen kann.
Aber ich glaube, wenn der Anfang erst einmal gemacht ist, geht es leichter. Es ist der Riesenberg vor mir, der plötzlich seine Schatten wirft. Mit dem muss ich mich erst noch anfreunden.

Liebe Grüsse
Gabriela
Ursel hat gesagt…
Hey Gabriela,

wann bist Du mal wieder im MSN-Messenger zu sehen ??
Mein skype-Guthaben ist grad alle :)
Mit alternativen Materialien kann ich Dir leider auch nicht helfen, aber vielleicht mit den Vokabeln ?

Wir haben für unser Haus mehrere Jahre lang geplant, verworfen und wieder geplant und dann war hier doch vieles anders und musste noch mindestens einmal geändert werden ;)
Gib' Euch etwas Zeit !

Ganz liebe Grüsse

Ursel

P.S.: meine hotmail-Adresse ist nuvemazul1970@hotmail.com. Ich benutze aber nur den Messenger, nicht die Emailadresse
Anonym hat gesagt…
Liebe Lulu,
lass Dich nicht von kleingeistigen "nichtverstehern" entmutigen!!
Ihr habat in so kurzer Zeit schon soviel geleistet, 3mal tief durchschnaufen, einmal tief ddurch die Wellen tauchen und einen langen Blick auf einen klaren Sternenhimmel........
und dann wieder weitermachen.
Ich schicke Dir eine Runde Energie über die Sterne,
Mondgöttin
kvinna hat gesagt…
@ Gabriela: Das klingt ja schon wieder etwas gefasster. Jo, sowas kann schon erschreckend sein, wenn frau mal in Ruhe darüber nachdenkt. Da brächt' der Tag 48 Stunden...

Ich war ein bisschen unpräzise mit meinem Anstoß. Aber könntest du nicht ein paar Menschen finden, die die gleiche oder ähnliche Aufgaben gestemmt haben? Ich dachte, in Bambusbauerkreisen gäb's vielleicht ein paar Verzweigungen, die Gesinnung muss doch prinzipiell die gleiche sein... aber die Entfernungen sind schon stark, das gebe ich zu.

Lass' dich nicht unterkriegen! Und guck' mal bei Grejazi, da gibt's was zu lachen für dich!
kvinna hat gesagt…
BRÄUCHT' der Tag 48 Stunden mein' ich natürlich!
Anonym hat gesagt…
Liebe Mondgöttin,
schade, dass du nicht hier bist...
brauche tatsächlich etwas Abstand. Immerhin habe ich heute aber endlich ausgeklügelt, wie wir das Verbindungssystem des Schuppens lösen können. Jetzt muss ich nur noch die richtigen Balken dazu finden...
Ja, Kvinna,
48 Stunden wären nicht schlecht... Im Umkreis hier sind wir die Einzigen, die ein Bambushaus bauen wollen... Umkreis heisst mindestens 100 Kilometer Radius....
kvinna hat gesagt…
Na ja, ich hab' gut reden hier am Rande der Ballungsgebiete... vielleicht findet sich im World-Wide-Web ein Forum von Interessensgenossen? Zum fachlichen Austausch, zum informieren - oh menno, ich weiß auch nicht. Ich wünschte, ich hätte die Lösung in der Tasche...
Anonym hat gesagt…
Hi Lulu, gestern kam im Bayern 2 eine Info über Stromgewinnung über Bakterien(anaerob). Zur Zeit ist damit möglich zumindest soviel Enerrgie zu gewinnen um ein handy aufzuladen, die Technik soll soweit ausgefeilt werden dass evtl. auch mehr möglich ist und soll in Entwicklungsländern getestet werden. Misthaufen, graphitstäbe, Elektroden, mehr braucht man angeblich nicht! Das wäre doch ein Pilotprojekt wert.
Mal schauen, ob ich noch genaueres rausfinde.
Energetissche Grüße Mondgöttin
Gabriela B. Lopes hat gesagt…
Ouh ja, Mondgöttin, schau mal was du heraus bekommst. Ich habe schon daran gedacht, mich mal mit dem Pellmeyer in Verbindung zu setzen, er war oder ist Vorsitzender des Biogasvereins. Kompost fällt ja mit Sicherheit einiger an und aus dem gewinnen einige Bauern durch Vergärung im Silo ja schon Energie. Muss mich da noch schlauer machen. Für den Anfang glaube ich werden wir es mit Solar probieren, um Strom für das notwendigste zu haben, wenn dann noch Alternativen dazukommen, wäre das nicht schlecht....

Ja, Kvinna, ich bin schon MG in einem der Foren. Aber wie gesagt, das hilft nicht viel, weil die Infrastruktur nicht so ist wie sie es in D ist. Theoretisch könnte ich mir schon Dinge aus São Paulo oder sonstwo schicken lassen. Ungesehen, klar, und mit jeder Menge Frachtkosten, wenn es denn ankommt... Aber Danke für deine Hilfsversuche. Wer weiss, vielleicht fällt uns ja auch noch was ein....

Liebe Grüsse
Gabriela

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