Besuch

Es fühlte sich an, wie eine Ewigkeit. Drei Tage waren es. Drei Tage mit J., einer Bekannten aus Miami. Eine kleine Ewigkeit, die schnell verging.

Arme J. Sie hat sehr gefroren. Vor ihrem Besuch hatte ich ihr gemailt, dass wir Winter haben und sie ein paar warme Sachen einpacken soll, weil die Temperatur schon mal auf 10 Grad absinken kann und es wir keine Heizung haben. Nein, nein, sie wisse schon Bescheid und Kälte mache ihr nichts aus. Für Miamianer ist Kälte eine abstrakte Grösse.

Frierend saß sie in der Küche, in eine Decke eingehüllt, vor dem Backofen, in dem ich Brot röstete, um so gleich ein wenig einzuheizen.

"Du musst dich bewegen, dann ist es nicht ganz so schlimm", riet ich ihr. Von Bewegung wollte J. nichts wissen. Qui Gong und Yoga seien ihr zu anstrengend, teilte sie mir mit. Der Versuch eines Spaziergangs schlug ebenso fehl. Nach ein paar Schritten umhüllte mich ein Jammern. Ihre Ohren seien eiskalt, ihr Kopf friere trotz Kappe und überhaupt, wolle sie jetzt sofort umkehren, bevor sie sich noch den Tod hole. 18 Grad und ein wenig Wind, nein, bei solchen Verhältnissen wolle sie keinen Strandspaziergang machen.

Ob wir nicht zur Ilha do Mel, der Honiginsel fahren könnten. Grosse Wellen peitschten an das Ufer. "Auf dem Boot würdest du noch mehr frieren, falls überhaupt noch ein Boot die überfahrt wagen würde", sagte ich. Der Abend kündigte sich schon an. J. war erst gegen ein Uhr aus dem Bett gekrochen, um daraufhin zwei Stunden lang zu frühstücken und sich weitere zwei Stunden lang, mental und physisch auf den Strandspaziergang vorzubereiten.

Wir brachen den Spaziergang ab. Vielleicht kommt morgen die Sonne raus, tröstete ich. Sie kam nicht. Statt Sonne gab es wieder nur Wolken und kühle 18 Grad.

J. ist Sängerin. Ich wollte ihr ein wenig von der Musikkultur Brasiliens zeigen. Brasilien ist nicht nur Samba. Entlang der Küste, wo wir leben, gibt es eine eigene Musikrichtung. Fandango. Eine Mischung aus Tango und weiß nicht was. Von den Azoren mitgebracht, heisst es. Mit eigenen Instrumenten, die Gitarren und Geigen ähneln und doch anders sind. In Paranaguá, der 30 Kilometer entfernten Stadt, gibt es ein kleines Museum darüber, mit Instrumenten, Fotos und auch Videos und Hörproben. J. hörte nichts davon. Es war bereits zwei Uhr nachmittags, als sie ihr warmes Bett verliess, um gediegen zu frühstücken. Gegen 15.30 Uhr begann sie zu packen, um mit mir ins Museum zu gehen. Gegen 17 Uhr gab ich den Versuch auf, sie vor die Türe zu locken.

Als J. abreiste, kam die Sonne raus. Ällabätsch, strahlte sie vom Himmel. Arme J. Ob sie in São Paulo, ihrer nächsten Besuchsetappe, mehr Glück haben wird? Wir wünschten es ihr und begaben uns an ein paar Reparaturen. Unser Gast hatte Spuren hinterlassen. Alessandro machte sich auf die Suche nach den Abwasserrohren und verwandelte unseren Garten in ein Grabungsfeld. Das Klo war verstopft. Die Blockade war in einem der Rohre. Völlig entgegen jeder Ingenieurskunst haben unsere Hausherren das Abwassersystem mit ein paar rechten Winkeln versehen. Eine Einladung für schöne Verstopfungen. Ich hatte J. erklärt, dass sie nichts ins Klo werfen darf. Auch kein Klopapier. Dafür steht ein Eimer bereit. J. hatte es wohl vergessen. Also grub Alessandro, sägte ein Rohr auf und löste die Verstopfung mit einem Eisendraht.

Dann ging es an die Dusche. Doch, wir haben eine Art Warmwassersystem. Es kann auch heiß geduscht werden. Im Sommer. Im Winter heizt der elektrische Wasserdurchlauferhitzer nicht ganz so gut. Wir sind daran gewöhnt. Für J. war es eine Neuheit, die sie nicht einfach so hinnehmen wollte. Sie versuchte, den Heizer von "Winter" auf "Sommer" umzustellen, während sie duschte. Mit der Folge, dass der Heizer durchbrannte. Zum Glück hat sie keinen elektrischen Schlag dabei bekommen. Wir haben das defekte Teil ausgetauscht.

Den nächsten Ausserbrasilianischen Besuchern werde ich wohl genauere Gebrauchsanweisungen geben.

Es funktioniert wieder alles und es ist wieder Ruhe ins Haus eingekehrt. Manchmal durchbrechen wir die Ruhe mit einem Lachen. Dann, wenn wir uns an unseren Besuch aus Miami erinnern. In Miami leben so um die 50 Prozent Lateinamerikaner. In manchen Stadtvierteln wird fast ausschliesslich spanisch gesprochen. Ein paar Brocken spanisch hat auch J. aufgeschnappt. Die hat sie bei ihren Versuchen, portugiesisch zu sprechen elegant eingebaut. Während ich mein Englisch ein wenig mit portugiesisch gemischt habe. "Me tengas uma questione." "I have a question." und eigentlich heisst es: "Eu tenho uma pergunta."

J. ist abgereist. "Me tengas" ist geblieben...

Kommentare

Ursel hat gesagt…
Oha ;)

Na, habt Ihr euch erholt ?
Tja, vielleicht sollte ich mit meinen Einladungen auch vorsichtiger sein ?
Obwohl, Du hast ja geschrieben "Bekannte" . Das sind ja meist Individuen, die man nicht soo gut kennt.
Immerhin hast Du sie besser kennengelernt ;)

LG Ursel
Gabriela B. Lopes hat gesagt…
Ja, ja, diese Individuen...
Ich glaube, Freunde sind einfacher als Besuch zu bewirten. Erstens sind sie meistens sensibler, zweitens habe ich da eher den Dreh, die richtigen Wörter zu finden...
Haben uns aber schon wieder erholt von J.
Der nächste Besuch kann also anrücken...
liebe Grüsse
Gabriela
Ursel hat gesagt…
Oh, ein Wink mit dem Zaunpfahl :))

Du, meine Eltern kommen nächstes Jahr mit dem Schiff und werden Ende April in Paranaguá einlaufen. Wenn Ihr bis dahin noch da wohnt...
Wir werden sie wohl abholen kommen.
Meine Schwägerin hier sagt immer, Besuch ist wie Fisch, nach 3 Tagen fängt er an zu stinken, hehe !

Gäähn, morgen hab' ich frei :)

LG Ursel
Gabriela B. Lopes hat gesagt…
Wow super!
So wie es aussieht, werden wir wohl hier in der Nähe bleiben. Wir suchen zumindest in Morretes ein kleines Grundstück und Morretes ist von Paranaguá nicht weit weg. Also: ihr könnt anrücken mit Fisch und Pack...
liebe Grüsse
Gabriela

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