Baum im Weg

Fröhlich läuft die Frau die Strasse entlang, in den Händen drei reife Avocados, unter den Armen leere Plastikflaschen. Es ist die Frau eines unserer künftigen Nachbarn, desjenigen, der bereits eine kleine Holzhütte direkt neben der Teerstrasse gebaut hat. Ich spreche sie an, sage, dass ich sie kenne und sie beginnt gleich zu erzählen, dass auf ihrem Grundstück einige Fruchtbäume wachsen. Vier grosse und drei kleine Avocado-Bäume, etliche Orangensträuchchen und heimische Fruchtbäume der Mata Atlântica. Gänse, Enten, Hühner habe sie auch schon. Alle geschenkt bekommen, genauso wie den kleinen Hund, der auf das Anwesen aufpasst, wenn sie in der Stadt, in Curitiba, ist. Die ganze Zeit vermeidet sie es, mich anzusehen. Redet eher vor sich hin oder für die anderen, die noch mit uns am Strassenrand stehen. Mir gefällt ihre Art zu erzählen, ihre positive Einstellung zu ihrem Grundstück, das von Staatsstrasse und Sumpf umzäunt ist.

Die anderen, das sind unsere direkten Nachbarn, das heisst, es werden unsere direkten Nachbarn sein. Rosali, João und ihre Teenager-Tochter. Eigentlich war ausgemacht, dass sie uns anrufen, wenn sie zum Grundstück fahren, damit wir Unterschriften austauschen können, um endlich unseren "Besitz", die Posse, registrieren lassen zu können. "Hat die ganze Flucht nichts genützt", sagte João lächelnd, als er uns sah. Schüchtern sieht er von Baum zu Baum, als könnte irgendwo zwischen ihnen eine Hilfsanker hängen. Es ist mir ein Rätsel, warum er solche Angst davor hat, seine Unterschrift auf das Papier zu setzen, und so die Grenzlinien anzuerkennen. Alessandro und ich versuchen noch einmal ihm zu erklären, dass er sich damit zu nichts verpflichtet, dass es lediglich ein Papierkram sei und wir ihm gleich unsere Unterschrift auch geben könnten, damit er alles legalisieren lassen kann. Er sieht zu Boden, sucht wieder zwischen den Bäumen nach den passenden Wörtern. Die scheinen sich zu verstecken. Da fällt ihm ein, von den riesigen Bäumen zu erzählen, die vor einer Woche noch an seiner Grundstücksgrenze gestanden haben. Jetzt liegen sie in Stücke geschnitten am Boden. Wer so etwas macht, will er wissen und sieht uns zum ersten Mal in die Augen. Wir wissen es nicht und finden es auch nicht gut, dass jemand Bäume des Regenwaldes umschneidet, zerstört. Dann drängt Frau Rosali zum Aufbruch.

Wir fahren weiter zu Nachbar Sebastião. Unsere Grenzlinien sind immer noch nicht frei gemäht. Sebastião nickt. Er weiss. Sein Vater, der das machen sollte, habe so viel zu tun gehabt. Diese Woche, verspricht er, wird er es aber machen. Ganz bestimmt. Schon erzählt er von den grossen, gefällten Bäumen. Er schüttelt den Kopf. Das ist gar nicht gut, sagt er. Gar nicht gut. Das wirft ein schlechtes Licht auf uns alle, weil es doch mitten in unserer Nachbarschaft passiert sei. Wer das wohl war, will er wissen. Wenn die Waldpolizei das herausfindet, wird es eine saftige Strafe geben und dann werden wir die Umweltschützer im Genick haben, prophezeit er uns. Wir stimmen ihm zu. Gar nicht gut, das Ganze. Ob er denn niemanden gesehen habe? Hat er nicht, sagt er und gibt uns noch den Tipp, auf der Hut zu sein.

Bei Paulo wollen wir unsere Nachbarschaftsrunde beenden und treffen noch einmal João samt Frau und Tochter. Sie unterhalten sich über die Reifenspuren, auf dem Waldweg, der entlang unserer Grundstücke führt. Allen ist ein Rätsel, von wem sie stammen. Ein schwerer Wagen. Fast steckengeblieben. Riesige Furchen hat er hinterlassen und einen weiteren umgestossenen Baum, der am Wegesrand stand. Ein Laster tippe ich. Vielleicht einer, mit dem die gefällten Urwaldbäume hätten transportiert werden sollen. Ich frage Paulo, ob das Grundstück neben João nicht vom Topografen ist. Ist es. Ob er wohl die Bäume gefällt habe. Hat er. Er habe die Grenzlinie freiglegt und da seien die Bäume im Weg gestanden. João sagt nichts. Die Bäume standen auf seiner Seite. Er hält sich trotzdem raus. Ich sage, dass mir das nicht gefällt. Alessandro unterstützt mich, erzählt von den Bedenken Sebastiãos, die auch die unseren sind. Paulo findet das alles gar nicht schlimm. Trotzdem stimmt er uns zu, dass es besser wäre, wenn es ein Tor an der Einfahrt gebe. Immerhin weiss keiner, wer dort ein und aus geht. Zu unseren Bananenstauden gibt es auch schon einen kleinen Weg. Angelegt von denjenigen, die sich unsere Bananen unter den Nagel gerissen haben. Feuerstellen und bellende Hunde lassen Paulo mutmassen, dass dort einige Leute auf die Jagd gehen. Ich glaube eher an meine Version des Holzraubes. Eine Weile wird noch diskutiert, dann fällt der Beschluss, dass wir nächstes Wochenende gemeinsam mit Paulo und João ein Tor bauen und ein Schild aufhängen werden. Vielleicht sollten wir auch noch ein paar Stolperschleine und Schlingen mitten auf dem Weg auslegen, um zusätzlich eine Einfahrt zu erschweren.

Sicher sind wir uns indes, dass nur deshalb dort gestohlen und gefrevelt wird, weil es dort keine Zeugen gibt, keiner dort wohnt. Das wird sich bald ändern. João hat schon angefangen, ein Streifenfundament für ein kleines Haus zu machen. Ohne Genehmigung, was seine Angst vor einer Entdeckung noch steigert, weil er dann nicht nur für die auf seiner Grundstücksseite gefällten Bäume zur Rechenschaft gezogen werden könnte, sondern auch noch für den Schwarzbau - auch wenn hier das alle so machen, zuerst bauen und dann versuchen sie irgendwann eine nachträgliche Genehmigung zu bekommen. Noch will Alessandro es andersherum machen. Zuerst Genehmigung, dann bauen.

Hoffentlich mähen die Sebastiãos diese Woche die Grenzlinie. Eindringlich habe ich sie noch beschworen, Bäume und Baumfarne stehen zu lassen. Sebastião hat sein Wort gegeben. Vielleicht das Wort eines Crente. Crente, das sind erz-evangelische Menschen, die angeblich halten, was sie versprechen. Crente ist auch die Frau mit den Avocados, die mir nicht in die Augen schauen konnte. Woher ich das wissen will? Das siehst du doch an ihrer Aufmachung, sagt Alessandro. Langer Rock, gedeckte Farben, zusammen gebundene Haare und mit dir, die du ein Trägershirt anhast, hat sie nicht gesprochen. Freie Schultern scheinen den Crente nicht zu gefallen.

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