Tag der Wiederveinigung

Der wird auch in den brasilianischen Fernsehnachrichten mit einer Reportage gewürdigt. Nach 15 Jahren Einigkeit gibt es die Trennung von Ost und West immer noch, nicht nur in den Köpfen, auch in der Wirtschaft, wie der Bericht aufzeigt. Als Beispiele werden Zahlen der Arbeitslosigkeit genannt und Bilder von Ost- und Westberlin gezeigt: im Westen der Potsdamer Platz, renoviert, aufgeräumt, stark an Ausstrahlungskraft; im Osten vor sich hin bröckelnde Plattenbauten, Tristesse. Halle oder Leipzig, Städte in Ostdeutschland, ansehnlich saniert, werden nicht gezeigt. Gut, nicht alle Stadtviertel Berlins sind das, was Touristen und Bewohner als schön bezeichnen würden. Das gilt aber für viele Städte in Ostdeutschland ebenso wie in Westdeutschland.
Viel Geld ist in den vergangenen Jahren von West nach Ost geflossen. So mancher Teil davon ist in irgendwelchen Schatullen von Firmen und Privatleute aus allen möglichen Landesteilen gelandet. Gerichte und Fahnder beschäftigen sich immer noch damit. Auch das, was es nur zwei Jahre geben sollte, gibt es immer noch. Den Solidaritätszuschlag. Den wollen die Westler längst nicht mehr zahlen, weil auch ihre Wirtschaft nicht mehr die ist, die sie vor 15 Jahren war. Und, wo das Geld knapp wird, wächst der Nährboden des Neides. Davon wird in dem Bericht aber nichts erwähnt. Nur der Solidaritätszuschlag taucht kurz auf. Nicht erwähnt wird auch der teilweise blinde Aktivismus der Westler im Osten in den 90er Jahren, der sich längst auf allen Ebenen rächt. Industrien, Werke, Arbeitsplätze erst einmal platt gemacht. Dann neu hochgezogen. Wieder zugemacht. Rentiert sich nicht, hieß es des öfteren. Den Menschen in den Plattenbauten hat das die Möglichkeit gekostet, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. "Seid mobil", lautete ein Aufruf, "geht in den Westen". Da wurde die Konkurrenz um den Arbeitsplatz plötzlich noch grösser. "Bleibt, wo ihr seid", raunte das Westvolk, das Angst um seine immer spärlicher werdenden Erbsen auf seinen Tellern hatte.
Schnell war sie dahin, die Euphorie über den Sturz der Mauer, über den Beginn der Wiedervereinigung. Schnell dahin schmolz auch der Stolz so manchen Ostlers. Nichts war mehr da von dem, was sie Jahrzehnte lang gewohnt waren, was sie kannten, was ihnen trotz allem im Alltag des staatlichen Sozialismus' Halt und Struktur gegeben hatte. Schul-, Erziehungs- und Sozialsystem wurden ohne lange zu fackeln über Bord geworfen, den Ostlern das Westsystem übergestülpt. Gefragt, ob ihnen das gefällt, hat sie keiner. Nichts waren sie mehr wert, die Trabis, die eigenen Erfrischungsgetränke, die als Contra zu Cola und Fanta erfunden wurden, das volkseigene Ketschup und was es sonst noch so an DDR-Marken gab. Da wundert es nicht, wenn jetzt bei der Suche nach der eigenen Identität, nach den Wurzeln, die Ostalgiewelle rollt. Klar, vor allem im Osten.
Blockaden und Vorurteile im Kopf gibt es auch nach 15 Jahren noch. Wird es auch weiterhin geben. Eine Weile noch. Bis gemeinsame Erfahrungen ein gemeinsames Volksbewusstsein bilden können, das dauert. Das wäre auch so bei einer Vereinigung von Bayern und Österreich, Frankreich und Belgien, oder Argentinien und Brasilien.

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