Bingo

Da standen wir mit unseren Bingo-Scheinen, gemeinsam mit 2000 bis 3000 anderen. Bingo kannte ich bisher nur aus den USA. Dort gibt es riesige Bingo-Hallen und Seniorennachmittage mit Bingo, um die älteren Damen und Herren irgendwie zu beschäftigen. Auch in Brasilien ist das Wettspiel ein Renner. Vielleicht liegt das daran, weil die Mehrheit der Bevölkerung mit ehrlicher Arbeit es hier nie zu etwas bringen wird, weil sie mangels einer guten Ausbildung keine Chancen auf eine etwas besser bezahlte Anstellung haben, bei der sie das Geld verdienen könnten, das sie für einen Lebensstandard benötigten, der in Deutschland wenigstens dem Sozialhilfeniveau nahe käm. Da sind die Hoffnungen, die in Wettspiele gesetzt werden, um so grösser.
Das heutige Bingo war ein Besonderes. Fand unter freiem Himmel bei Nieselregel und Wind statt. Ein Supermarkt hat es zu seinem einjährigen Bestehen veranstaltet. Wer für 30 Reais eingekauft hatte, erhielt einen Bingo-Schein. Auf Pappkartons geklebt und mit Stiften ausgerüstet, notierten wir Kunden die Nummern, die der Showmaster uns über zwei riesige Lautsprecher wissen ließ. Wer fünf Nummern in einer Reihe hatte, konnte gewinnen. Ein Fahrrand, ein Fernseher, eine kleine Waschmaschine und jede Menge Basispakete waren die Prämien, Basispakete, die mit fünf Kilogramm Zucker, fünf Kilo Mehl, fünf Kilo Reis, fünf Kilo Bohnen, einem Päckchen Salz und ein paar Litern Sojaöl bestückt waren. Auch sie waren heiß begehrt.
Ich markiere die 9, markiere die 23 und auch 57. Dann kommt nichts mehr. Andere gewinnen. Ich freue mich trotzdem. Denn Reiche waren hier nicht vertreten und die Gewinne gingen somit an Menschen, die sie benötigten. Und ich fand die Veranstaltung witzig, habe mitgefiebert, auch mit den Alten und den Jungen, die um mich herum standen, habe zwei ältere Frauen kennen gelernt, die hier in der Nähe wohnen und noch täglich Brot in ihren Holzöfen backen. Leider habe ich nicht ganz genau verstanden, wo ihre Häuschen stehen. Aber, wer weiß, vielleicht treffe ich sie ja zufällig wieder, dann werde ich sie genauer befragen, um sie besuchen zu können...

Kommentare

Vera hat gesagt…
Liebe Gabriela, habe weiter unten auch noch einen Kommentar abgegeben. Ich finde deine Seite interessant, vor allem, weil du viel Informationen über Brasilien gibtst. So erfahre ich nicht nur welche du bist, sondern auch in welchem Umfeld du lebst. Das finde ich gut. Ich habe eine Bitte, deine Schrift ist ziemlich anstrengend zu lesen für meine "alten" Augen. Wäre schön, wenn du sie etwas größer machen könntest.
Alles Liebe
Vera
Gabriela B. Lopes hat gesagt…
Liebe Vera,
sorry, war egoistisch. Wollte Platz sparen. Deshalb die kleine Schrift. Beim nächsten Mal, mache ich sie aber wieder größer. Versprochen.
In dem Viertel, in dem ich wohne, leben vor allem Brasilianer aus der unteren Mittelschicht. Das heißt, die meisten haben ein eigenes Häuschen (wenn auch oft nur aus Holz), einen Fernseher und verdienen genug, um Nahrungsmittel und Kleidung zu kaufen. Wer noch etwas mehr verdient, hat auch ein Auto oder eine Krankenversicherung. Eine Häuserreiche weiter stehen die Hütten der Ärmeren, aus Holzresten zusammengezimmert, ohne Glasfenster, aber zum Leben reichts. Ganz Arme, die Hunger leiden, gibt es in unserem Viertel zwar nicht, aber oft fehlt nicht viel dazu. In Brasilien sterben allerdings immer noch Menschen, vor allem Kinder, an den Folgen von Hunger. Nicht wie in Afrika, aber immerhin. Manchmal ist es deprimierend, das mitzubekommen (wenn auch nur über die Nachrichten), manchmal reicht es mir auch schon, wenn ich nur die billigen Hütten sehe und dann in der Zeitung vom Korruptionsskandal lese, bei dem Millionen über den Tisch gehen. Das Neueste, was mich wütend macht, ist ein Bundesabgeordneter, der zugegebenermaßen monatliches Schmiergeld eingenommen hat, dann aus seinem Amt gejagt wurde und jetzt eine monatliche Staatsrente von 9000 Reais bezieht. Der Mindestlohn der normalen Bevölkerung liegt bei 300 Reais - nur so zum Vergleich...
liebe Grüsse
Gabriela
Vera hat gesagt…
Liebe Gabriela,
das glaube ich, dass dich das wütend macht.
Ich war auf deiner Homepage, habe fast alles gelesen, glaube ich. Habe ich das richtig verstanden, du hattest drei Frühgeburten von denen keines überlebt hat? Das hat mich sehr getroffen.
Bei manchen von deinen Tagebucheintragungen habe ich sehr gelacht, zum Beispiel die mit dem Muschelvorhang. Hast du eigentlich auch einen Messenger von Yahoo, dann könnten wir uns auch mal online unterhalten. Ach ja, und vielen Dank für die größere Schrift.
Alles Liebe
Vera
Ursel hat gesagt…
Liebe Gabriela, liebe Vera !

Dass stimmt, Gabriela beschreibt das Leben "hier in Brasilien" sehr anschaulich !
Weisst Du, Vera, für mich ist das alles schon nicht mehr ganz so neu, deshalb steht es vermutlich auch nicht im Zentrum meiner Beiträge.
Und Vieles, für das ich früher (vor 8-10 Jahren ) noch einfache Erklärungen parat hatte, zeigt sich mir jetzt, wo ich hier LEBE, in einem andern, neuen Licht. Da wird es eher komplizierter, vielschichtiger und dialektischer.
Vielleicht habe ich mittlerweile auch schon sovielen verschiedenen Leuten davon erzählt, dass ich ein wenig faul in dieser Beziehung geworden bin ;)

Aber es stimmt: es gibt sovieles, was erwähnenswert, weil für Europäer so total fremd ist..

Gabriela, ich beobachte auch immer wieder, wie sehr die Menschen hier ihre Hoffnungen auf das grosse Glück setzen ! Der Onkel, bei dem wir zur Zeit noch wohnen, hat vor ein paar Jahren tatsächlich im Lotto gewonnen und so ein schönes Haus bauen können. Wir haben es ihm seinerzeit von Herzen gegönnt, denn sie hatten nie ein einfaches Leben. jetzt sehen wir aber, dass sie durchaus ein bescheideneres Haus hätten bauen können, denn dann wäre der Innenausbau schon fertig.. So sind die Präferenzen unterschiedlich.
Und ich beobachte auch,wie dieses Hoffen, auf weiteres Glück im Spiel (als ob einmal nicht schon phantastisch genug gewesen wäre !) die Aufmerksamkeit vom Hier und Jetzt ablenkt.
Es gäbe Sovieles zu tun hier im Haus, damit es endlich wirklich fertig wird. Oft ist dafür kein Geld übrig, aber häufig ist es auch bequemer, auf dem Sofa zu liegen und sich in den Novelas das Leben der Reichen etc. anzugucken..,
Naja, das kennst Du ja :))
Sorry für den Roman jetzt ;)
Und herzliche Grüsse
Ursel
Anonym hat gesagt…
Liebe Gabriela,
auch mir gefällt deine Seite. Hab zwar noch nicht alles gelesen, von deinen Beschreibungen bin ich aber beeindruckt.
Sag mal wie ist das Verhältnis Reais -Euro? Wieviel sind der Mindestlohn von 300 Reais in €? Was kostet Miete, oder gibt es keine Mietwohnungen/häuser? Was kostet Mehl oder die Dinge aus dem Basispaket?
Liebe Gabriela, liebe Ursel: auch hier in old Germany wird die Hoffnung auf ein bisserl Glück gesetzt. Ich gestehe, ich hab dies Wochenende auch Lotto gespielt. Wobei ich im Grunde auf ganz andere Dinge hoffe und Glück doch auch nichts mit einem Lottogewinn zu tun hat. Aber so gar keine finanziellen Sorgen zu haben, wär doch auch mal was. Stimmt auch, die Aufmerksamkeit wird vom hier und jetzt abgelenkt.
Herzliche Grüße aus dem Sauerland
Anke
Gabriela B. Lopes hat gesagt…
Liebe Anke,
momentan ist ein Euro so ungefähr 2,80 Real wert. Für ein Kilo Mehl zahlst du so etwa 1,30 Reais, für 1 Kilo Reis auch etwa 1 Real, auch der Zucker kostet in etwa ebenso viel, 1 L Sojaöl ca. 1,30RS. Die Grundnahrungsmittel und Gemüse sind erstaunlich günstig hier. Im Angebot kannst du einen Salatkopf für 28 Centavos kaufen oder ein Kilogramm Bananen für das gleiche Geld. Die Preise hängen aber sehr von der Ernte und der Jahreszeit ab. Zumindest ist das hier in Strandnähe so. Wenn Touristenzeit ist, steigen die Preise schon mal um das zehnfache an... Dann kostet die Milch statt 93 Centavos plötzlich 1,59 RS, die Semmel statt 9 Centavos 20 Centavos usw. Häuschen kannst du natürlich auch Mieten. Offiziell ist das etwas kompliziert, weil die Vermieter in der Regel so etwas wie Bürgen wollen. Wir hatten aber Glück und es ging ohne grossen Papierkram. Für unser Haus (3 Zimmer, Wohnküche, Bad, Garage, Grillplatz, Garten) zahlen wir 200 RS im Monat. Teuer ist der Strom. Für zwei Leute zahlen wir im Monat so um die 70 bis 80 RS. Wir haben aber keine grossen Stromgeräte, also keine Stereoanlage, keine Waschmaschine... Wasser sind nochmal so um die 20 RS (billig), Telefon wiederum teuer (Basisvertrag ca. 40-50 RS - ohne Ferngespräche!). Mit dem Mindestlohn kämen wir also nicht hin. Die meisten haben hier aber ein eigenes Haus oder ein Hüttchen, so dass die Miete entfällt. Viele verdienen sich auch durch das Sammeln von Blechdosen oder Papier ein paar RS hinzu. Mit 300 RS auszukommen ist dennoch fast unmöglich zumal die meisten Familien hier ziemlich kinderreich sind und es kein Kindergeld gibt...
Anke, hast du auch einen blog?
Freut mich, dass dir meiner gefällt...
Grüsse ins Sauerland
Gabriela
Anonym hat gesagt…
Liebe Gabriela,
danke für deine ausführlichen Infos. Leider habe ich bishe noch keinen blog, ich denke Ende Okt/Anf. Nov. bin ich soweit. Ich habe im Moment andere Prioritäten und somit fehlt mir die Zeit, eine HP und einen blog einzurichten.
Ich bin aber per mail zu erreichen.
hexevomholte@t-online.de
Ach ja, ich war im Geschichten Archiv. Ganz kurz nur, trotzdem schön.
Herzliche Grüße aus dem Sauerland
Anke

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